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soon 22.12.19 02:36

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 92593)
Aus meiner Sicht wäre es z.b. eine Überlegung wert, die Verzweigungen (d.h. die Realisierung aller Möglichkeiten) innerhalb eines Objekts anzunehmen.

Die Realisierung aller Möglichkeiten würde dann - in gewisser Weise - ebenfalls zugleich stattfinden.

Dieses eine Objekt könnte z.b. ein Würfelexperiment, bestehend aus 1000 Würfen, sein.

Der verwendete Objekt-Begriff ist sicherlich missverständlich.

In unserer Alltagsvorstellung ist ein Apfel ein kugelförmiges Gebilde mit bestimmten Eigenschaften.

Ich verstehe dagegen unter 'Apfel-Objekt' die Menge aller den Apfel betreffenden Ereignisse von seiner ersten bis zur letzten Zellteilung.

Entsprechend ist ein Würfelexperiment, bestehend aus z.b. 1000 Würfen nacheinander, ebenfalls ein Objekt.

TomS 22.12.19 07:46

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 92597)
Nochmal zum Verständnis der Struktur der Pflanze ...

Du denkst zu kompliziert - oder mein Beispiel war irreführend.

Andere Gegenfrage:

Raumfahrer entdecken auf einen Planeten mit völlig strukturloser, einförmiger Oberfläche vier symmetrisch platzierte, verschiedenfarbige Häuser (an den Spitzen eines gedachten Tetraeders). Nach der Rückkehr wird ihnen die Frage gestellt, wo das blaue Haus war. Die Frage ist sinnlos.

In der Quantenmechanik ist das einzige Unterscheidungskriterium der Zweige der Messwert a sowie die Amplitude des Zweiges ψa.

Die Frage, welcher der Zweige mit Wahrscheinlichkeit |ψa|² realisiert wird, ist einfach zu beantworten: der, auf dem der Messwert a realisiert wird.

TomS 22.12.19 07:55

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 92600)
Der verwendete Objekt-Begriff ist sicherlich missverständlich.

In unserer Alltagsvorstellung ist ein Apfel ein kugelförmiges Gebilde mit bestimmten Eigenschaften.

Ich verstehe dagegen unter 'Apfel-Objekt' die Menge aller den Apfel betreffenden Ereignisse von seiner ersten bis zur letzten Zellteilung.

Entsprechend ist ein Würfelexperiment, bestehend aus z.b. 1000 Würfen nacheinander, ebenfalls ein Objekt.

Das ist aber nicht das, was uns der Formalismus der Quantenmechanik sagt. Es gibt zu jedem Zeitpunkt ein bestimmtes Objekt, und die Verzweigung entspricht gleichzeitig realisierten Möglichkeiten - nicht nacheinander realisieren.

soon 22.12.19 09:41

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 92601)
Raumfahrer entdecken auf einen Planeten mit völlig strukturloser, einförmiger Oberfläche vier symmetrisch platzierte, verschiedenfarbige Häuser (an den Spitzen eines gedachten Tetraeders). Nach der Rückkehr wird ihnen die Frage gestellt, wo das blaue Haus war. Die Frage ist sinnlos.

Nö, die Raumfahrer nahmen das blaue Haus mit und antworten: "Auf dem Planeten gibt es kein blaues Haus."

Die Raumfahrer werden durch die Messung Teil des Systems und ändern damit die Gleichung.

TomS 22.12.19 09:42

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Sorry, aber das ist Käse.

Elfulus 23.12.19 00:03

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 92594)
Der mathematische Formalismus besagt, dass der Zustand eines quantenmechanischen Systems durch einen normierten Zustandsvektor in einem speziellen Vektorraum - dem sogenannten Hilbertraum - beschrieben wird. Eine Superposition ist nichts anderes als die Darstellung eines Vektors bzgl. einer bestimmten Basis. Das hat nichts mit Messung, Wahrscheinlichkeiten oder Interpretationen zu tun, sondern ist zunächst nur diesem Formalismus geschuldet.

Immer gut, auf genaue Sprache zu achten;).
Also dann so: jedwede aus diesem Formalismus ableitbare Aussage über die Realität setzt offenbar erst nach der Superposition ein, die ihrerseits erstmal nur im Formalismus existiert. Damit bleibt die Superposition ein rein virtuelles, nicht reales Konstrukt des Formalismus, das bei der Erstellung richtiger Voraussagen ab der Messung hilft. Ähnlich dem Konstrukt negativer Zahlen, die keine reale Entsprechung haben, aber hilfreich sind bei der Eingemeindung alles Fehlenden oder Entgegengesetzten in mathematische Formalismen. Trotzdem gibt es keine negativen realen Entitäten.
Aber die Idee negativer Zahlen hilft wenigstens nicht nur als formales Konstrukt sondern auch als Denkmodell im Verständnis der Realität, was man von Superposition und co. nicht behaupten kann. Also sollte man sich im allgemeinen Diskurs auf die Ergebnisse des Formalismus beschränken, aber den dafür genutzten Hilfskonstrukten keine "erstaunlichen" Realitäten zuschreiben, die sie nicht haben.

TomS 23.12.19 07:16

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Zitat:

Zitat von Elfulus (Beitrag 92605)
Damit bleibt die Superposition ein rein virtuelles, nicht reales Konstrukt des Formalismus ...

Zunächst ja.

Stell’ dir einen Geschwindigkeitsvektor V in einer völlig strukturlosen Ebene vor. Eine Darstellung bzgl. einer Basis e₁, e₂ der Form

V = v₁ e₁ + v₂ e₂

ist physikalisch zunächst völlig irrelevant.

Wenn du jedoch die Ebene durch einen breiten Strom mit Fließgeschwindigkeit U ersetzt und die Basisvektoren e₁, e₂ parallel bzw. orthogonal zu U wählst, also

U = u e₁

dann ist die o.g. Darstellung von V physikalisch relevant, da sie die Geschwindigkeitskomponenten parallel bzw. orthogonal zur Fließrichtung des Stroms enthält. Ich denke, der Intention der Wahl einer Basis wird zu wenig Beachtung geschenkt: handelt es sich um eine beliebige oder um eine physikalisch ausgezeichnete Basis?


Ähnlich verhält es sich in der Quantenmechanik. Eine Superposition des Zustandes gemäß

Ψ = ψ₁ e₁ + ψ₂ e₂

besagt physikalisch nichts, solange nicht der Kontext bzw. die Bedeutung der Basis spezifiziert wird. “Spin up” und “Spin down” sind dabei rein mathematische Konvention, aber “Spin parallel zur z-Achse des Labors” und “Spin antiparallel zur z-Achse des Labors” haben eine physikalische Bedeutung.

Problematisch an der Übertragung des o.g. Beispiels des klassischen Geschwindigkeitsfeldes in die Quantenmechanik ist, dass neben der Betrachtung weiterer Observablen auch die Betrachtung der Messung notwendig ist - und diese stellt nun mal per se ein Problem im Rahmen der Quantenmechanik dar.

Elfulus 28.12.19 19:59

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Habe im Forum noch diesen Thread gefunden, in dem it77 ähnliche Fragen mit Euch diskutiert. Viele von Toms Antworten dort hätten mir hier schon wesentlich weiter geholfen:).

Nach dem „Studium“ des Threads komme ich zu dem Schluss, dass letztlich die seltsamen Konstrukte der QM nur formale Nebenwirkungen einer Methodik sind, die entwickelt wurde, um die besondere Wahrscheinlichkeitsverteilung bei der Vorhersage von reinen Quantensystemen bestimmen zu können (im Unterschied zur bei gemischten Systemen ausreichenden klassischen Statistik). Diesen seltsamen formalen Konstrukten schreiben dann eben manche etwas Ontisches zu und andere nicht.

Insofern sehe ich meine erste Frage (benötigt man die seltsamen QM-Konstrukte für das Funktionieren der QM-Mathematik) mit „formal ja, ontisch nein“ beantwortet.

Dennoch bleibt für mich die grundsätzliche Frage, ob das QM-Modell mit der Wellenfunktion nicht nur deshalb die Wahrscheinlichkeiten von Messwerten reiner Quantensysteme besser vorhersagt, weil diese aufgrund eines spezifischen deterministischen Chaos anders verteilt sind als „echte“ stochastische Wahrscheinlichkeiten. Im genannten Thread wird z.B. immer wieder gesagt, dass die Schärfe verschiedener Messwerte bei gleichen Ausgangsbedingungen nicht variieren kann. Wenn doch, wäre das ein Zeichen für nicht identische Versuchsaufbauten oder eben für Superposition.

Wie kann man aber überhaupt davon ausgehen, (im Skalenrahmen der Quantenwelt) jemals identische Ausgangspositionen herstellen zu können? Wenn sich die Anfangsbedingungen im infinitesimalen Bereich unterscheiden, könnte man das im Makroskopischen als Messtoleranz berücksichtigen. Aber müssten im Quantenmaßstab Toleranzen für die Etablierung eines „identischen“ Versuchsaufbaus nicht kleiner als das Wirkungsquantum sein? Selbst wenn das möglich wäre, könnten sie dann nicht die letztendlichen Messwerte nach einer zeitlichen determiniert chaotischen Entwicklung aufgrund von Schmetterlingseffekten extrem schwanken lassen? Diese Variationen der Messwerte aufgrund kleiner Änderungen der Anfangsbedingungen im ansonsten gleich aufgebauten Experiment könnten theoretisch einer anderen Verteilung folgen als „normale“ statistische Wahrscheinlichkeiten. Es könnte sogar so etwas wie scheinbare Interferenzen geben. Diese Verteilung könnte u.U. einfach nur gut durch den gefundenen QM-Formalismus beschrieben sein, ohne dass aber seine als Nebenwirkung auftretenden Konstrukte irgendeine über das Instrumentalistische hinausgehende Bedeutung hätten.

soon 07.01.20 09:44

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 92604)
Sorry, aber das ist Käse.

Eine bessere Antwort als diese wäre gewesen:
"Was soll das heissen 'die Gleichung verändert sich' ?"


Sabine Hossenfelder hat in ihrem Blogeintrag zum Thema Schmetterlingseffekt geschrieben:
Zitat:

...no one would use quantum mechanics to predict the weather...
Wie würde man das Messproblem der Quantenmechanik auf eine Wettervorhersage übertragen?

Mein Vorschlag für eine denkbar einfache Antwort:
Sobald ich den Tsunami messe, kann ich keine Vorbereitungen mehr treffen.

Übertragung des Messproblems der Quantenmechanik auf den Finanzmarkt:
Sobald ich einen hohen Aktienkurs messe, kann ich die Aktie im Voraus nicht mehr billig kaufen.

Die Lösungen der Gleichung ändern sich also mit dem Voranschreiten der Entwicklung des Systems.

TomS 08.01.20 00:39

AW: Bohrende Quantenfrage
 
Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 92619)
Eine bessere Antwort als diese wäre gewesen ...

Nee.

Die ursprüngliche Frage war

Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 92588)
In welchem Zweig wird die Wahrscheinlichkeit realisiert?

Zunächst wird nicht eine Wahrscheinlichkeit realisiert, sondern ein Messergebnis wird mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit realisiert.

Darauf war meine Gegenfrage

Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 92601)
Raumfahrer entdecken auf einen Planeten mit völlig strukturloser, einförmiger Oberfläche vier symmetrisch platzierte, verschiedenfarbige Häuser. Nach der Rückkehr wird ihnen die Frage gestellt: „wo war das blaue Haus?

Beide Fragen sind sinnlos, denn ein Zweig ist genau dadurch definiert, dass ein bestimmtes Messergebnis vorliegt; die Antwort auf die Frage, in welchem Zweig ein bestimmter Messwert vorliegt, ist einfach „der Zweig, in dem der Messwert vorliegt“; es gibt neben den Messwerten kein weiteres Unterscheidungskriterium der Zweige. Genauso ist der Ort des blauen Hauses auf einer ansonsten völlig strukturlosen Oberfläche ausschließlich dadurch ausgezeichnet, dass dort das blaue Haus steht; die Antwort auf die Frage, wo das blaue Haus stand, ist einfach „da, wo das blaue Haus stand“; es gibt neben den Häusern kein spezifischen Merkmale der Orte auf der strukturlosen Oberfläche.


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