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-   -   Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare? (http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?t=3973)

Mirko Buschhorn 13.08.21 16:14

Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
Vakuumfluktuationen bestehen aus virtuellen Teilchen-Antiteilchen-Paaren, zum Beispiel ein Elektron und ein Positron oder auch zwei virtuelle Photonen. Sie entstehen und verschwinden, sodass die Energieerhaltung gewährleistet bleibt. Wenn solche Fluktuationen nahe des Ereignishorizontes eines Schwarzen Lochs stattfinden, soll laut Stephen Hawking die Annihilation verhindert werden, wenn ein Teilchen des Paars dem Schwarzen Loch entkommt. Bleibt das Positron im Schwarzen Loch, verliert es die Masse des dazugehörigen Elektrons. Doch wie soll das Elektron denn entkommen? Es bewegt sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit und muss daher ebenfalls ins Schwarze Loch fallen. So kann dieses nicht verdampfen. Nur ein virtuelles Photon hätte die notwendige Fluchtgeschwindigkeit um dem Schwarzen Loch zu entkommen. Besteht die Hawkings-Strahlung also nur aus Photonen?

Hawkwind 13.08.21 18:07

AW: Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
Sämtliche Teilchenarten kommen infrage. Massive Teilchen haben es in der Nähe des Horizontes natürlich schwerer zu entwischen, d.h. sie werden entsprechend selten sein.

n4mbuG0t0 13.08.21 20:42

AW: Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
Ich weiß dass man dies meist so liest in Büchern etc., aber virtuelle Teilchenpaare sind nicht notwendig um Hawking-Strahlung zu beschreiben. Ich verstehe auch nicht warum das ständig so erklärt wird.

Bei Hawking-Strahlung ist es vielmehr so:

Bevor ein Ereignishorizont (EH) existiert, gibt es einen Vakuum-Zustand. Dieser hat keinen Teilchengehalt, eine Messung der Teilchenzahl würde also 0 liefern (N|0>=0 mit N...Teilchenzahloperator). Hawking konnte zeigen, dass der Vakuumserwartungswert dieses Teilchenzahloperators durch die Anwesenheit eines Ereignishorizonts ungleich 0 ist. Was vorher also wie ein leerer Raum aussah, enthält plötzlich Teilchen.

Und bezogen auf deine Frage:
Diese Teilchen müssen auch nicht direkt am EH entstehen. Weiters sind massive Beiträge exponentiell unterdrückt, die Hawking-Strahlung besteht also tatsächlich größtenteils aus Photonen.

PS: Hawking-Strahlung ist nur ein Beispiel für die Bezugssystemabhängigkeit des Vakuumzustands. Ein weiteres sehr bekanntes Beispiel wäre der Unruh-Effekt.

sirius 13.08.21 21:50

AW: Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
https://de.wikipedia.org/wiki/Unruh-Effekt

TomS 13.08.21 22:13

AW: Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
Zitat:

Zitat von n4mbuG0t0 (Beitrag 95809)
Ich weiß dass man dies meist so liest in Büchern etc., aber virtuelle Teilchenpaare sind nicht notwendig um Hawking-Strahlung zu beschreiben. Ich verstehe auch nicht warum das ständig so erklärt wird.

Weil Hawking selbst leider in der Originalveröffentlichung nach seiner genialen Rechnung noch ein paar weniger genialere „Erklärungen“ nachgeschoben hat, in denen er Begriffe der Teilchenphysik unpräzise verwendet - und weil wahrscheinlich 99.9% der Leser des Artikels die Rechnungen überspringen und viele diese Version mit eigener Unwissenheit anreichern.

TomS 13.08.21 22:18

AW: Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
Zitat:

Zitat von Mirko Buschhorn (Beitrag 95803)
Vakuumfluktuationen bestehen aus virtuellen Teilchen-Antiteilchen-Paaren …

Nein.

Zitat:

Zitat von Mirko Buschhorn (Beitrag 95803)
Besteht die Hawkings-Strahlung also nur aus Photonen?

Nein, es tragen beliebige Teilchen bei, allerdings sind massebehaftete Teilchen exponentiell unterdrückt.

Zu beiden Punkten siehe https://de.m.wikipedia.org/wiki/Hawking-Strahlung

Mirko Buschhorn 14.08.21 09:33

AW: Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
Zitat:

Zitat von sirius (Beitrag 95810)

Das ist schwere Kost und ich muss es mir noch genauer anschauen, vor allem um den Bezug zur Situation am Ereignishorizont zu verstehen.

Klar, könnte ein virtuelles Elektron auch weiter entfernt vom Ereignishörizont aus dem Vakuum entstehen, doch die Fluchtgeschwindigkeit müsste dennoch riesig sein, um dem Schwarzen Loch zu entkommen, richtig?

TomS 14.08.21 11:54

AW: Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
Es ist irreführend bis falsch, sich lokalisierte Teilchen vorzustellen, die an einem bestimmten Ort entstehen.

Ich schreibe später noch mehr dazu.

TomS 14.08.21 18:13

AW: Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
Wie schon gesagt, ist es irreführend, sich teilchenähnliche Objekte und Stoßprozesse vorzustellen.

Es gibt im Falle der Hawkingstrahlung zunächst mal überhaupt keine Wechselwirkung zwischen Teilchen oder Feldern – natürlich mit Ausnahme des Gravitationsfeldes. D.h. dass keine Prozesse stattfinden, durch die Teilchen entstehen oder vernichtet werden. Es verhält sich vielmehr so, dass das, was wir normalerweise als Vakuum bezeichnen, nämlich ein Zustand, der absolut leer ist, im Falle des Kollapses mit Bildung eines Ereignishorizontes schlichtweg nicht eindeutig definiert ist. Das, was für die Beschreibung mittels einlaufender „Teilchen“ als Vakuum erscheint, also keine einlaufenden „Teilchen“ enthält, erscheint in der Beschreibung für auslaufende „Teilchen“ als thermischer Zustand mit Temperatur größer Null.

Leider kann man die Details der Zeitentwicklung nicht mittels Quantenfeldtheorie berechnen, da diese immer strikt unitär ist, wohingegen das Auftreten des o.g. thermischer Zustands diese Unitarität verletzt. Hawking selbst hat sich lange Zeit damit befasst – die Wette bezüglich der schwarzen Löcher und des Informationsverlustes geht genau darauf zurück. Es gibt jedoch meines Wissens nach bis heute keine vernünftige Theorie dazu.

Daher kann man letztlich nur konstatieren, dass der selbe quantenmechanische Zustand außerhalb des Ereignishorizontes zwei Sichtweisen zulässt, wovon die eine auf ein Vakuum und die andere auf eine Strahlung mit Temperatur größer Null führt.

Einen lokalisierbaren Prozess sollte man dabei nicht vermuten, zumindest folgt das nicht aus Hawkings ursprünglicher Arbeit. Andere Ansätze führen eher auf eine Art „Tunneleffekt durch den Horizont“.

Teilchen, Fluchtgeschwindigkeit usw. spielen keine Rolle. Die Berechnung sind auch für Physiker unanschaulich, jedes anschauliche Bild führt auch zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen.

Mirko Buschhorn 16.08.21 09:20

AW: Hawking-Strahlung nur für virtuelle Photonenpaare?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 95812)
Nein. Nein, es tragen beliebige Teilchen bei, allerdings sind massebehaftete Teilchen exponentiell unterdrückt. Zu beiden Punkten siehe https://de.m.wikipedia.org/wiki/Hawking-Strahlung

Danke, für diese Klarstellung! Ich habe mir jetzt auch noch einmal den Anfang des Vakuumfluktuationen-Artikels angeschaut. Interessant ist die Verwendung des Konjunktivs.

"Vakuumfluktuation sowie Vakuumpolarisation und virtuelles Teilchen sind Begriffe aus der Quantenfeldtheorie. Sie bezeichnen bestimmte mathematische Ausdrücke, die in den Summanden einer Reihe auftauchen, wenn eine Energie oder eine Übergangsamplitude mit den Mitteln der quantenmechanischen Störungstheorie berechnet wird. Zwecks besserer Veranschaulichung beschreibt man diese Ausdrücke so, als ob die darin vorkommenden Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren und weitere Faktoren für wirklich in der Zeit ablaufende Prozesse stünden."

Ich bin Diplom-Informatiker, der seit Jahrzehnten von der Physik fasziniert ist, was aber auch zeigt, dass das Lesen populärwissenschaftlicher Literatur oft nicht ausreicht, bestimmte Phänomene zu verstehen.


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