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Zaphod Beeblebrox 30.06.09 14:09

Wahrscheinlichkeitsdeutung für "verbotene" Bereiche
 
Moin Leute!

[Off-Topic: Kurze Vorstellung der Person
Ich bin Mathe-Student, der in wenigen Monaten seine Diplom-Prüfungen absolvieren wird. Dazu gehört auch eine Prüfung in Quantenmechanik. Während der Vorbereitung - und vielleicht auch danach - möchte ich hier Fragen stellen und fairerweise auch Fragen beantworten, wenn mein Wissen es zulässt.]

Es gibt viele Parallelen zwischen Optik und QM. Dazu gehört, dass bei Totalreflexion die Welle teilweise in das reflektierende Medium bzw. in das verbotene Potential eindringt. Die Optik-Version finde ich verständlich, aber an der QM-Version irritiert mich Folgendes:

Ganz allgemein können Wellenfunktionen in Bereiche eindringen, die klassisch verboten wären. Beispiele: Tunneleffekt, oben genannte Reflektion, gebundene Zustände (<- Hineinragen in die Potentialwände).
Das Integral von |Psi|^2 im "erlaubten" Bereich ist < 1, im "verbotenen" Bereich ergibt sich p > 0. Die Bornsche Wahrscheinlichkeitsdeutung liefert diese problematische Vorhersage: Eine Ortsmessung wird mit Wahrscheinlichkeit p ergeben, dass das Teilchen sich im "verbotenen" Bereich aufhält.

Kann das wirklich passieren oder gilt die Bornsche Wahrscheinlichkeitsdeutung nicht universell?

Uli 30.06.09 22:32

AW: Wahrscheinlichkeitsdeutung für "verbotene" Bereiche
 
Willkommen Zaphod,

Zitat:

Zitat von Zaphod Beeblebrox (Beitrag 37763)
Moin Leute!

Ganz allgemein können Wellenfunktionen in Bereiche eindringen, die klassisch verboten wären. Beispiele: Tunneleffekt, oben genannte Reflektion, gebundene Zustände (<- Hineinragen in die Potentialwände).
Das Integral von |Psi|^2 im "erlaubten" Bereich ist < 1, im "verbotenen" Bereich ergibt sich p > 0. Die Bornsche Wahrscheinlichkeitsdeutung liefert diese problematische Vorhersage: Eine Ortsmessung wird mit Wahrscheinlichkeit p ergeben, dass das Teilchen sich im "verbotenen" Bereich aufhält.

Kann das wirklich passieren oder gilt die Bornsche Wahrscheinlichkeitsdeutung nicht universell?

Das ist eine wirklich interessante Frage.

Zwar ist die Wahrscheinlichkeitsdichte innerhalb des verbotenen Bereiches ungleich Null; andererseits aber drängt sich der Gedanke auf: wäre so eine experimenteller Nachweis nicht ein Indiz für einen Verstoß gegen die Energieerhaltung ? Und die Energie gilt als exakt erhaltene Größe.

Einem Teilchen, das sich im verbotenen Bereich aufhält, müsste man ja - um der Energieerhaltung Genüge zu tun - eine negative kinetische Energie zuordnen, was sinnlos erscheint: gemessene kinetische Energie ist auch in der Quantenmechanik immer >= 0 (Energie-Eigenwerte sind immer >= 0).

Es scheint also unmöglich, bei so einem Nachweis eine Verletzung der Energieerhaltung zu vermeiden.

Hier kommt aber der Messvorgang ins Spiel: Messung bedeutet immer Wechselwirkung und impliziert immer Energie-Transfer. Die nachgewiesenen Teilchen haben deshalb die Möglichkeit, der Messapparatur Energie zu entziehen, um ihre "negative kinetische Energie" auszugleichen. Ideale Messungen gibt es in der Quantenwelt nicht; die prinzipiell vorhandenen Ungenauigkeiten der Messapparatur ermöglicht deshalb auch die Beobachtung von Teilchen im verbotenen Bereich.

Für weitere Details siehe z.B. folgende Publikationen von Aharanov et al.:

Measurement of the Negative Kinetic Energy of Tunneling Particles

oder
Measurements, Errors, And Negative Kinetic Energy


Die Antwort auf deine Frage ist deshalb "das kann wirklich passieren" und so etwas wird auch experimentell beobachtet (siehe die beiden Links).

Gruß,
Uli

Nachtrag: frag das doch mal deinen Dozenten - ob der das überhaupt weiß :)

Zaphod Beeblebrox 02.07.09 10:03

AW: Wahrscheinlichkeitsdeutung für "verbotene" Bereiche
 
Danke für die Antwort. Das ist wirklich interessant, und ich werde meinen Dozenten tatsächlich mal drauf ansprechen.

Übrigens ist mir noch eine weitere Situation in den Sinn gekommen, in der diese Energie-Problematik auftritt: Die kohärenten Zustände des harmonischen Oszillators bestehen aus Energie-Eigenfunktionen zu beliebig hohen Energien. Mit geringer Wahrscheinlichkeit könnte das Teilchen bei einer Energie-Messung eine sehr große Energiemenge tragen, die dann wohl beim Messprozess übertragen wurde - vorausgesetzt es gibt überhaupt einen Messprozess, der nichts anderes als Energie-Eigenfunktionen zurücklässt. Das führt zu einer weiteren Frage - in einem anderen Thread.


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