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-   -   The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder) (http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?t=4213)

future06 15.08.22 14:17

The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
Sabine Hossenfelder ist eine sehr engagierte Physikerin und Youtuberin, die glaubt, die bisherige Sichtweise bzgl. diverser seltsamer Quanteneffekte auf den Kopf zu stellen bzw. diese als Unfug zu entlarven. Dieses "debunking" ist mittlerweile eine Modeerscheinung und man muss sich das kritisch anschauen.

Hier eine Video zum Thema "delayed choice quantum eraser":
https://youtu.be/RQv5CVELG3U

Hier das Transkript:
http://backreaction.blogspot.com/202...um-eraser.html

Und hier das m.E. entscheidende Zitat:
"What you actually do in the eraser experiment, is that you sample the photon pairs in two groups. And you do that in two different ways. If you use detector 1 and 2 you sample them so that the entangled partners on the screen do not create an interference pattern for each detector separately. If you use detector 3 and 4, they each separately create an interference pattern but together they don’t.

This means that the interference pattern really comes from selectively disregarding some of the particles. That this is possible has nothing to do with quantum mechanics. I could throw coins on the floor and then later decide to disregard some of those and create any kind of pattern. Clearly this doesn’t rewrite the past."

Hier der Link zum Wiki-Artikel, in dem u.a. das Original Experiment von Kim et al. beschrieben wird:
https://en.wikipedia.org/wiki/Delaye...quantum_eraser

Hier erstmal der wichtige Hinweis, dass Hossenfelder in ihrem Video die Bezeichnungen der Detektorenpaare D1/D2 und D3/D4 ggü. den Originalbezeichnungen leider vertauscht hat.

future06 15.08.22 15:01

AW: The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
M.E. liegt sie hier mit ihrer Kritik völlig daneben.

Zitat: "I could throw coins on the floor and then later decide to disregard some of those and create any kind of pattern. Clearly this doesn’t rewrite the past."

Dieser Vergleich mit einer klassischen Analogie passt nicht, denn die Auswahl zur Gruppierung der Ereignisse erfolgt zwar in gewisser Weise nachträglich, aber zufällig. Trotzdem erscheint ein klar nicht-zufälliges Muster.

Auch das folgende Zitat ist falsch:
"The photons on the screen can’t create an interference pattern. Everything I told you after this is completely irrelevant. It doesn’t matter at all what you do on the other side of the experiment. The photons on the screen will always create the same pattern. And it’ll never be an interference pattern."

Es macht sehr wohl einen Unterschied, ob der Eraser verwendet wird, oder ob die Idler-Photonen an D1/D2 (ohne Eraser) direkt gemessen werden (hier verwende ich die Bezeichnungen aus dem Video). Abb. 5 aus oben verlinktem Wiki-Artikel zeigt, dass hier kein Muster bei D0 auftritt, bei Verwendung des Erasers hingegen schon.
S. Hossenfelder hat m.E. nur an einem Punkt recht. Wenn man die ursprüngliche Prämisse des Erasers Ernst nimmt, müsste bei D0 ein Interferenzmuster erscheinen, auch wenn man alle Ereignisse bei D3/D4 zusammenfasst, nicht nur (ein phasenverschobenes Muster) bei Koinzidenz mit D3 bzw. D4 getrennt.

Nachtrag: habe jetzt auch das Paper dazu gefunden:
https://arxiv.org/pdf/2111.09347.pdf

Wenn man das versucht zu verstehen, wird klar, dass das YouTube Video nur eine sehr grobe Vereinfachung der Thematik ist und so alleine keinen Sinn ergibt, wenn man wirklich den theoretischen Hintergrund verstehen möchte. Den meisten Leuten geht es heutzutage aber wohl um die Show an sich und nicht um die Inhalte im Detail.

Eyk van Bommel 21.08.22 10:23

AW: The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
Wäre schön wenn es dazu Meinungen gibt. Für mich ist die ganze Interpretation der QM zu offen um eine Meinung zu haben.
Habe das Video vor längerem gesehen und TomS hatte sich dazu geäußert?

Bernhard 21.08.22 22:10

AW: The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
Zitat:

Zitat von future06 (Beitrag 100567)
Nachtrag: habe jetzt auch das Paper dazu gefunden:
https://arxiv.org/pdf/2111.09347.pdf

Wenn man das versucht zu verstehen, wird klar, dass das YouTube Video nur eine sehr grobe Vereinfachung der Thematik ist und so alleine keinen Sinn ergibt, wenn man wirklich den theoretischen Hintergrund verstehen möchte. Den meisten Leuten geht es heutzutage aber wohl um die Show an sich und nicht um die Inhalte im Detail.

Für Details fehlt mir aktuell leider die Zeit, aber schau mal die Conclusion in dem pdf an.

Da wird ein neues Experiment vorgeschlagen, das etwas zu den Grundlagen der Quantenmechanik beitragen könnte. Es zeigt, dass SH hier als Physikerin doch sehr ernst zu nehmen ist.

Im pdf wird der Eraser mit einer wechselwirkungsfreien Quantenmessung https://de.wikipedia.org/wiki/Wechse...Quantenmessung kombiniert, um die verschiedenen grundlegenden Konzepte der QM auszutesten.

Wertet man YouTube-Clips eher als Motivationstraining, werden zu hoch gesteckte Erwartungen an die Clips nicht so leicht enttäuscht.

Bernhard 22.08.22 07:35

AW: The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
Mich wundert etwas, dass in dem pdf auf lokale Theorien Bezug genommen wird.

Ich dachte eigentlich, dass der Punkt in Fachkreisen mittlerweile nicht mehr ernst genommen wird.

future06 22.08.22 10:09

AW: The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 100616)
Mich wundert etwas, dass in dem pdf auf lokale Theorien Bezug genommen wird.

Ich dachte eigentlich, dass der Punkt in Fachkreisen mittlerweile nicht mehr ernst genommen wird.

Im Paper schreibt sie u.a.:
"Of course one could argue that we knew this already: a local realist hidden variables explanation of quantum mechanical phenomena requires that the path of a particle depends on the measurement setting at the time of measurement. This, after all, is what Bell’s theorem tells us: If we insist on a
local explanation, then Statistical Independence must be violated [31], either by superdeterminism or by retrocausality."


Sabine Hossenfelder vertritt offensichtlich eine lokale Theorie. Laut Bell ist das auch weiterhin möglich, solange die statistische Unabhängigkeit nicht gilt. Ich habe auch soweit verstanden, dass dies durch den sog. Superdeterminismus ermöglicht wird. Allerdings verstehe ich momentan nicht, warum diesbezgl. auch eine Retrokausalität infrage kommt.

Aber zu Bell eine kurze Verständnisfrage: Die Bellsche Ungleichung ist m.W. eine Ungleichung bzgl. Wahrscheinlichkeiten von Partikel-Eigenschaften basierend auf der Annahme, dass diese Eigenschaften gleichverteilt sind (also zufällig) und bereits bei der Entstehung (zB. bei verschränkten Paaren) jeweils lokal vorhanden sind. Da diese Ungleichung im Experiment verletzt wird, schließt man daraus, dass eine lokale Theorie mit "hidden variables" unmöglich ist. Wenn man also die Annahme der Gleichverteilung (=statistical Independency) fallen lässt, sind lokale Theorie doch möglich. Soweit ich es verstehe, ist das Hossenfelders Position. D.h. sie vertritt einen Superdeteminismus und kann damit den lokalen Realismus retten.

Nachtrag: habe nochmal ein besseres Zitat aus der PDF gefunden:
"Here and in the following we will take a local realist theory
to mean a hidden variables theory that fulfils Bell’s criterion of
local causality. Bell’s theorem [5, 6, 43] requires that any such
local realist theory must violate one of the other assumptions
of the theorem to reproduce the observed violations of Bell’s
inequality. We will here consider the case where Statistical
Independence is violated. This is possible through two options.
The first involves assuming that the information about
the measurement settings at detection is contained in the state
of the hidden variables at preparation. This option is known
as superdeterminism1 [30, 31]. The other option is that the
measurement setting at detection influences the initial state,
which is known as retrocausality."

Bernhard 22.08.22 10:29

AW: The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
Zitat:

Zitat von future06 (Beitrag 100618)
Aber zu Bell eine kurze Verständnisfrage: Die Bellsche Ungleichung ist m.W. eine Ungleichung bzgl. Wahrscheinlichkeiten von Partikel-Eigenschaften basierend auf der Annahme, dass diese Eigenschaften gleichverteilt sind (also zufällig) und bereits bei der Entstehung (zB. bei verschränkten Paaren) jeweils lokal vorhanden sind. Da diese Ungleichung im Experiment verletzt wird, schließt man daraus, dass eine lokale Theorie mit "hidden variables" unmöglich ist.

Nicht ganz. Bei Bell wird untersucht, ob sich das System "klassisch" gemäß Einsteins Forderungen verhält. Da dies bei Quantensystemen nachweisbar nicht zutrifft, muss man entweder die Lokalitätsforderung oder die Realitätsforderung aufweichen/aufgeben.

Hidden variables schließt das nicht aus. Man muss dann aber (so wie bei dem bohm-deBroglieschen Ansatz) zusätzliche Strukturen in die Theorie einbauen.

Bernhard 22.08.22 10:59

AW: The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
Zitat:

Zitat von future06 (Beitrag 100618)
Sabine Hossenfelder vertritt offensichtlich eine lokale Theorie.

Glaube ich erstmal nicht.

Ich denke, die Autoren "spielen" einfach nur die verschiedenen Möglichkeiten und Abhängigkeiten durch.

future06 22.08.22 12:29

AW: The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 100620)
Nicht ganz. Bei Bell wird untersucht, ob sich das System "klassisch" gemäß Einsteins Forderungen verhält. Da dies bei Quantensystemen nachweisbar nicht zutrifft, muss man entweder die Lokalitätsforderung oder die Realitätsforderung aufweichen/aufgeben.

Hidden variables schließt das nicht aus. Man muss dann aber (so wie bei dem bohm-deBroglieschen Ansatz) zusätzliche Strukturen in die Theorie einbauen.

Ok, Bohm/deBroglie verwendet zusätzliche nichtlokale Elemente. Und zwar, so wie ich es verstehe einen Realismus bzgl. der Wellenfunktion im Sinne der "Führungswelle".

Aber so, wie ich Hossenfelder verstehe, ist eine Verletzung der Bellschen Ungleichung auch möglich, wenn man den lokalen Realismus beibehält, stattdessen jedoch die statistische Unabhängigkeit fallen lässt. D.h. die lokalen Eigenschaften sind nicht zufällig verteilt sondern vorherbestimmt.

Dazu habe ich ja schon im Parallelthread "Superdeterminismus/Hossenfelder" was geschrieben. Bell hat den SD damals ausgeschlossen, weil er davon ausging, dass in diesem Fall jegliche wissenschaftliche Vorgehensweise unmöglich wäre, weil alle empirischen Erkenntnisse bereits vorherbestimmt sind. Ich glaube aber, Hossenfelder hat hier recht, d.h. ein Superdeterminismus ist "metaphysisch" möglich und damit wäre auch der lokale Realismus gerettet, der offensichtlich vielen sehr wichtig ist, weil ein nichtlokaler Realismus bzw. ein Antirealismus stark kontraintuitiv ist bzw. vielen irgendwie suspekt weil "esoterisch" ist.

Justice 29.08.22 07:52

AW: The delayed choice quantum eraser, debunked (Sabine Hossenfelder)
 
Ich hab eine Frage zu Ihrem Video. Sie sagt, nach dem Spalt und der Messung ist das Phonton kein Teilchen sondern immernoch eine Wellecharakteristik hat?
Ich dachte nach einer Messung kollabiert die Welle zu einem Teilchen?


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