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Alt 10.04.12, 20:32
Petruska Petruska ist offline
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Standard AW: Gibt es vom Standpunkt der Physik eine wissenschaftlich existierende « Allgemeine

Hallo RoKo,

Nun, wie es weiter geht, wie gesagt, da gibt es zwar ein paar Ansätze (siehe weiter unten), aber im Wesentlichen liegt da vor allem schwerste Arbeit vor uns.
Diese Diskussion kam ja zustande, da ich in der Zusammenfassung meines im Aufbau befindlichen Katzenartikel behauptet hatte, dass die Systemtheorie noch auf der Suche nach ihrer Wissenschaftlichkeit ist.
In jeglicher Forschung ist es höchst wichtig, genau zu wissen, WO man ist und WIE WEIT man schon gekommen ist; die bescheidene, aber exakt fundierte Erkenntnis, dass systemtheorie trotz zahlreicher Mode-Phänomene noch in den Kinderschuhen steckt, ist sicher konstruktiver als zu schnelles Voranschreiten oder eher "Voranschwimmen", wobei man den Grund unter den Füssen verliert.
Jedenfalls ist das so im Zusammenhang mit der Physik.

Bevor wir zu besagten Ansätzen kommen, fassen wir nochmals alles zusammen:

1.Wenn unsere Vorfahren nicht die Intuition des analytischen Denkens gehabt hätten, dann gäbe es heute keine exakte Naturwissenschaften. (Was den Ausdruck "exakte Naturwissenschaften", anbetrifft, ist er meiner Ansicht nach ohne Komplexe zu benutzen.)

2.Die Erfolge der analytisch denkenden exakten Naturwissenschaften ändern nichts daran, dass bei zahlreichen Problemstellungen analytisches Denken eine Sackgasse bildet. Sich dessen bewusst zu werden, stellt bereits einen Fortschritt da, der nicht abzustreiten ist.

4.ABER: Wenn auch die – zwar nicht rein empirische, aber auch nicht formalisierte – Erkenntnis, dass "das Ganze 'mehr' als die 'Summe' (brrrrrrr !!) der Teile ist", zu einer neuen intellektuellen Einstellung führen kann und muss, so reicht das nicht aus für positive wissenschaftliche Arbeit.

(Ich möchte am Rande Folgendes bemerken: Wie ich gelesen habe – und mir bekannte Psychiater haben es bestätigt – hatten Mitglieder der berühmten Schule von Palo Alto, in der absoluten Mehrzahl ohne jegliche medizinische Qualifikation, grossen menschlichen Schaden angerichtet mit ihrer " 'system-theoretischen' Erklärung der Schizophrenie". Dank auf nichts beruhenden "double bind" – Geschichten trugen dann jahrelang Eltern schizophrener Kinder, die auch so schon vom Leben gestraft waren, noch schwere, aber absolut ungerechtfertigte persönliche Schuldgefühle mit sich herum. Nun, ich bin auch kein Mediziner und will darüber nicht weiter urteilen.))

5. Meinerseits begnüge ich mich damit, erstmal eine formelle Definition des Kompetenzbereichs analytischen Denkens vorzuschlagen: Analytisches Denken ist bei Systemen und nur bei diesen am Platz, die gruppentheoretisch formalisiert werden können.

6. Wenn diese Definition akzeptiert ist, und das scheint bei der Fall zu sein, dann kann man mit der INRC-Gruppe mühelos beweisen, das gerade diese "Kybernetik", die die Palo Alto-Leute zur "Überwindung" des analytischen Denken verordnen, selbst ein Parade-Beispiel analytischen Denkens ist.

Mit dem Hauptsatz der INRC-Gruppentheorie (INRC = I) kommen wir nun zu den im Augenblick sehr provisorischen Ansätzen einer Systemtheorie, bei der man hoffen kann, dass die Physik eines Tages vielleicht damit etawas anfangen kann.

Schreiben wir erstmal die Grundgleichung im Sinne von L. v. Bertalanffy eines beliebigen Systems:

dQi/dt = фi ( ..., Qj , ..., t) (1)

Wenn man jetzt da hinschaut, dann sieht man, dass (1) nichts spezifisch systemtheoretisches ausdrückt . In der Makro-Physik ohne system-theoretische Ansprüche/Absichten schreibt man letzten Endes nichts anderes.
Nun, bei v. Bertalanffy beruht der Unterschied nicht auf (1) als solchem, sondern auf der Absicht. Er benutzt (1) nicht um die Entwicklung der Qj, sondern die Gesamteigenschaften des Systems zu untersuchen und formalisiert auf diese Weise Allgemeinbegriffe wie "Kompetition", "Homeostasie" u.a.
Ein erster (Vor-)Schritt zur Formalisierung der Sysstem-Theorie besteht also darin, die Verlagerung des Interesses von den (Q1, Q2, .... , Qn) zu den ( ф1, ф2, ...... фn) zu erkennen.
Formell kommt man dann weiter wenn man sich an ein höchst effizientes heuristisches Prinzip der modernen Wissenschaft erinnert: Das zu untersuchende Phänomen ist zu verändern.
Die Systemtheorie gewinnt als an Substanz und Spezifizität, wenn man (1) durch Sequenzen

( ф1, ф2, ...... фn) → ( ф1', ф2', ...... ф'n') → ..........→ ( ф1'', ф2'', ...... ф''n'') ... .... (2)

ersetzt, wo die "Bedeutung" der besagten фj und auch n sich ändern.

Dieser (Vor-)Ansatz – es ist ein Provisorium – fällt immerhin mit folgenden Gegenheiten zusmmen:

1.Analytisch zu behandelnde Systeme sind die, deren Transformationen durch INRC = I formalisierbar sind, anders ausgedrückt, die über ihre Transformationen hinweg mit sich identisch bleiben. Diese INRC-Identität wird durch (2) und, unter gewissen Bedingungen, NUR durch (2) gebrochen.
2.Die Schule von Palo-Alto behauptet, ohne sich aber die Mühe zu machen, das ganze zu formalisieren, dass analytisches Denken dem changement 1 vorbehalten sein muss, dass nur die Variabeln/Parameter des Systems betrifft, während das changement 2, das das System als SOLCHES verändert, system-theoretisches Denken erfordert.
In (2) erkennen wir sofort dieses changement 2, und in 1 dans changement 1 der Systeme, die immer auf die gleiche Art und Weise funktionieren.

3.Wenn wir einen elementären Fall von Irreversibilität betrachten, zum Beispiel ein auf der "Funktional-Modalität" ( ф1, ф2, ...... фn) beruhendes System, das aus irgend einem Grund auseinander fällt, dann sehen wir in der Transition

( ф1, ф2, ...... фn) → nicht-( ф1, ф2, ...... фn) (3)

schon einen – wenn auch einfachen – Spézialfall von (2).

Dementsprechend sehe ich in dem, was man augenblicklich über Irreversibilität weiss bzw. zu wissen glaubt, eine vielversprechende Ausgangsbasis für eine künftige Systemtheorie. Diese beiden Gebiete sind verwandt und kennen auch sehr analoge, wenn nicht identische Schwierigkeiten. Es ist demzufolge auch nicht verwunderlich, dass Thermodynamik in der Physik irgend wie als ein Fremdkörper erscheint.
Lehrbücher erwähnen den sog. Paradox der Irreversibilität ungefähr so: In einem (sich im Gleichgewicht oder nicht befindenden) Gas ist im Prinzip die "trajectoire" (ich bin unter Zeitdruck, wir verstehen uns schon) eines jegliches Moleküls von den Gesetzen der Newtonschen Mechanik bestimmt. Letztere ist t-reversibel. Und doch ist die globale Entwicklung eines Gases vom Nicht-Gleichgewicht zum Gleichgewicht t-irreversibel.
Dann wird der "Paradox" folgendermasssen "gelöst". Da es unmöglich ist, jeder "trajectoire" der einzelnen Moleküle individuell zu folgen, muss das ganze statistisch/wahrscheinlichkeitsmässig erfasst werden, wobei unwahrscheinliche Zustände "natürlich" in wahrscheinlichere übergehen.
Das klingt alles sehr einfach, ist es aber nicht. Newton-Mechanik und Wahrscheinlichkeit sind zwei verschiedene Welten, und wenn man beides vergleicht, vergleicht man Unvergleichbares. Darüber ist viel geschrieben worden (Anfang der zweiten Woche unserer hiesigen Ferien werde ich versuchen, für Dich ein paar Links von O. Costa de Beauregard (auf Englisch) finden; vorher wird es aus Zeitdruck nicht gehen), und manches davon ist für system-Theorie wertvoll.
Vereinfacht gesagt, ist die in der Irreversibilität so ausschlaggebende Wahrscheinlichkeitsrechnung ja BEREITS eine System-Theorie, da ja kein Einzelereignis – statistisch gesehen – Einfluss hat auf die Wahrscheilichkeit von was auch immer, während die Wahrscheinlichkeit eines Einzelereignisses – weiterhin statistisch gesehen –vom Ganzen bestimmt wird.
Das Projekt ist nun, die Wahrscheinlichkeitsrechnung in eine "Unwahrscheinlichkeitsrechnung" umzufunktionieren, das heisst, mit Hilfe noch zu bestimmender Anfangs- und Rahmenbedingungen die Umkehrung des H-Theorems (hier ist A. Grünbaum DER Klassiker) zu realisieren und so aus der Irrevertsibilität als Grenzfall eine ALLGEMEINE Systemtheorie (und -Wissenschaft) zu errichten.
Das ist alles noch viel Arbeit.
Da ich einerseits eine wirklich revelante Systemtheorie herbeisehne und so gut wie möglich dabei mitbastle, anderseits aber von morgens bis abends predige, dass man da im Interesse der nicht-inflationären Wissenschaftlichkeit nicht schneller vorangehen möge als das eben so geht, darf man von mir natürlich keine Wunderlösungen erwarten.
Aber ich hoffe dennoch, ein Minimum von Diskussionsmaterial geschaffen zu haben.

Mit freundlichen Grüssen von Paris nach Hong-Kong

Petruska
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