Thema: Zur Weihnacht
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Alt 23.12.08, 00:17
Jogi Jogi ist offline
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Registriert seit: 02.05.2007
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Standard Zur Weihnacht

Wenn es draußen grau und trist,
feuchtkalt und ungemütlich ist,
Wenn alles rennet, wuselt, hetzet,
man Säge, Axt und Messer wetzet,
um damit Bäumen, Wild, Geflügelstücken
bedrohlich auf den Leib zu rücken.

Wenn ohne nennenswerte Not
Verwandtschaft mit Besuchen droht,

wenn aus der Innenstadt die Meute,
bepackt mit hart erjagter Beute,
zurück in eigenen vier Wänden,
um dann, mit ungeschickten Händen,
mit Tesa, Kräuselband, Papier
(Ecken hat es immer vier),
Christo versucht, zu übertreffen,

und keinen Enkel oder Neffen
leer ausgeh’n zu lassen,

wenn dann in praktisch allen Gassen,
an Balkonen, Fenstern, Türen,
die Menschen einen Wettkampf führen,
wer hat das bunteste Geflimmer,
mir scheint, als würd‘ es jährlich schlimmer,

wenn festlich dröhnen dann die Glocken,
die Leut‘ in Kirchenbänken hocken,
und warten sehnlichst auf das Amen,
weil doch zu Haus, die fleiß’gen Damen,
bereits das Festmahl angerichtet
(doch erst mal wird ein Sekt vernichtet).

Wenn dann der Wein noch passt zum Essen,
könnt‘ man beinah‘ glatt vergessen,
sich gegenseitig zu bescheren,
wenn da nicht die Bälger wären.

Mit nervtötendem Gequengel
(in Scherben liegt der erste Engel)
gemahnen sie zur Planeinhaltung,
nix mit Spontanprogrammgestaltung.

Wenn schließlich alle sind bedacht,
und alle Päckchen aufgemacht,
was vorher diente zum Verhüllen,
taugt nun gerade noch zum Knüllen.

Und das, was draus zum Vorschein kam,
dabei schon manchen Schaden nahm.

Nachdem der erste Neid verkniffen
(nicht Jeder hat sein G’schenk begriffen),
geht man, um’s salopp zu sagen,
der Bar des Hausherrn an den Kragen.

Man dann, zu vorgerückter Stunde,
in locker redseliger Runde,
auch mal zur Diskussion hinstellt,
was man von Dies- und Jenem hält.

Solange keiner widerspricht,
gibt’s auch keinen Ärger nicht.

Doch weh! Der Alkohol enthemmt!
Die Schwäger packen sich am Hemd!
Und ob der Schwestern zornig Keifen
hört man kaum des Vaters Pfeifen:
„Bringt doch die Kinder mal zu Bett,
ach, wenn ich nur die Rute hätt!“

Wenn sich auch dieser Sturm gelegt,
und Oma wieder abgeregt,
wenn nach zwei weiteren Getränken,
die Gäste nur noch milde denken:
„Ach lasst doch jedem sein Plaisir,
und mir das meine, wünsch ich mir.“

Wenn Frieden dann das Haus befällt,
und auch den Rest der Christenwelt,
Wenn Ruhe einkehrt, hier auf Erden,
dann will es endlich Weihnacht werden.


Jogi
__________________
Die Geschichte wiederholt sich, bis wir aus ihr gelernt haben.
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