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Alt 25.06.10, 17:30
Knut Hacker Knut Hacker ist offline
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Standard AW: VWT/Parelleluniversen, David Deutsch

Warum weigert man sich eigentlich trotz aller Erkenntnisse der Kognitionswissenschaften (Varela, Maturana) anzuerkennen, dass unsere begrifflichen Vorstellungen lediglich ein Konstrukte unseres Bewusstseins sind und keine Rückschlüsse auf eine gedachte Außenwelt zulassen?

Unsere Wahrnehmung im weiteren Sinn, nämlich

Sinneseindrücke,
Denken,
Fühlen,
Werten (Vergleichen, Beurteilen; ästhetisch, ethisch,orientierend),

ist

selektiv,
abstrahierend,
sezierend,
subjektivend (Qualia),
imaginierend .

Speziell unser Denken ist kategoristisch, nämlich

kontradiktorisch (Ja/Nein; Sein/Nichts; Seiend/Nichtseiend; Wahrheit/Unwahrheit),
raum-zeitlich,
partikularistisch (Ganzes/Teil; Objekt/Subjekt),
reduktionistisch ( kausalistisch, funktionalistisch, entelechistsch).

Es führt in letzter Abstraktion wegen der Anwendung der Kategorien auf sich selbst ( z.B.:Was war vor der Zeit? Was ist außerhalb des Raumes? Warum ist etwas und nicht nichts?) oder der Abstraktheit der Frageprämissen ( z.B.:Welchen Grund haben Gründe? Welchen Sinn hat Sinn?Wie viele Teile hat das Ganze, wenn jedes Teil wieder ein Ganzes darstellt?Alles hat Grenzen zu etwas jenseits Gelegenem; gibt es ein Jenseits aller Grenzen?) zur Selbstbezüglichkeit (Denkzirkel) oder Iteration (unendlicher Pro-, Regress).

Dass unsere Sinneseindrücke lediglich geistige Konstrukte sind, ist allgemein bekannt. Denn wer könnte zum Beispiel beschreiben, was Helligkeit, Dunkelheit und Farben, was Töne und Stille, was Düfte und Gestank, was süß, sauer und bitter, was Schmerz, Jucken und kitzlig „ist“?

Auch dass unsere Gefühle Bewusstseinskonstrukte sind, wird niemand bestreiten: Wer könnte Traurigkeit und Freude beschreiben?

Gegen die Erkenntnis, dass auch unsere Denkstrukturen und – inhalte bloße Bewusstseinkonstrukte sind (einschließlich dieser Erkenntnis), sträuben sich dagegen nahezu alle Menschen zumindest unseres westlichen Kulturkreises.

Sie erkennen gerade noch an, dass wertende Vorstellungen (Gerechtigkeit, Schönheit , Gut und Böse usw.) reine Geisteskonstrukte sind, aber nicht, dass dies auch für „Begriffe“ (geistige Erfassungen) wie „ Gegensätze“ (Sein und Nichtsein, Wahrheit und Unwahrheit, Ursache und Zufall, Sinn und Chaos, Notwendigkeit und Freiheit, Ganzes und Teil, Geist und Materie usw.) sowie Raum und Zeit gilt (nicht Wegdenkbares). Der Mensch will sich seinen Stolz auf seine „Vernunft“, die ihn vom Tier unterscheidet und ihn sich selbst zur „Krone der Schöpfung“ erheben und Gott zu seinem Ebenbild (Ludwig Feuerbach) schaffen lässt, nicht rauben lassen.

Daher wurden bereits die Vorsokratiker, die schon vor 2500 Jahren aufzeigten, dass das Denken in letzter Konsequenz (Abstraktion) zu Paradoxien führt (zum Beispiel Zenon, Gorgias), als “Sophisten“ verschrien und wird die bereits hundertjährige Quantenphysik mit ihren unumstößlich paradoxen, experimentellen Ergebnissen auch heute noch nicht hinsichtlich ihrer erkenntnistheoretischen Konsequenzen (z.B. Komplementarität von Gegensätzen), sondern lediglich mathematisch-technisch als Grundlage für die Laser-und Computertechnik akzeptiert.

Auch die Chaosforschung, die insbesondere durch Computersimulationen den Gegensatz von Ganzem und Teil sowie Gesetz und Zufall in dynamisch-komplexe Prozesse auflöst und unser reduktionistisches, abstrahierendes Denken – wie zuvor schon die Quantenphysik – als grobe Vereinfachung (Idealisierung) der Naturerscheinungen entlarvt, wird von den Geisteswissenschaftlern weitgehend ignoriert (von den Religionen ganz zu schweigen).

Unserem – somit kreativen – Denken stellt sich letztlich die philosophische Grundfrage, warum überhaupt etwas und nicht nichts ist (Leibnitz).Diese Frage ist aber – abgesehen von den Paradoxien, dass „nichts“ nicht sein kann, ohne doch etwas zu sein, und schon deshalb auch das Sein als bloßes denknotwendiges Gegenteil des Nichts nicht sein kann, aber auch deshalb nicht, weil es seinerseits wiederum Gegenstand des Seins sein und sich daher bereits selbst voraussetzen müsste – schon deshalb absurd, weil es einen Grund – also selbst etwas Seiendes – nur IN einem Sein geben kann und daher nicht auch FÜR ein solches.

Die Paradoxien unseres Denkens entstehen letztlich dadurch, dass versucht wird, Fragen, die das abstrakte Denken aufwirft, mit eben diesem Denken zu beantworten, so dass es zu einer Rückkoppelung des Denkens kommt.Dem abstrakten Denken steht keine Metaebene mehr zur Verfügung, auf der sich noch abstraktere Antworten finden ließen (was ja zu einem unendlichen Progress führen würde; vergleiche auch Gödel).
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