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Alt 04.04.19, 07:42
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TomS TomS ist offline
Singularität
 
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Standard AW: Quantenverschränkung auch zwischen (fast) sichtbaren Objekten?

Zitat:
Zitat von userq Beitrag anzeigen
Gehts bei genügender Abschirmung auch bei makroskopischen Dingen, aber wie kann man schon gegen alle Teilchen ... Hintergrundstrahlung etc. abschirmen ...
Typische Dekohärenzzeiten findest du hier. Natürlich sind das berechnete Werte.

Zu Messungen muss ich noch suchen.


Zu: "... allerdings unterliegt der Schuh als makroskopisches Objekt der Dekohärenz, was dazu führt, dass typische, aus dem mikroskopischen Bereich bekannte Effekte wie z.B. Interferenzen und Verschränkung “unsichtbar” werden."

und deiner Frage
Zitat:
Zitat von userq Beitrag anzeigen
...und was meinst du mit "unsichtbar"?
Die Antwort besteht aus mehreren Teilen.

Zunächst mal ”sehen” wir Interferenzen praktisch nie direkt. Wenn wir Quantenobjekte wie z.B. Elektronen oder Photonen beobachten, dann beobachten bzw. messen wir immer einzelne und letztlich lokalisierte Elektronen oder Photonen. Ein Photon wird in einem Sensor z.B. immer von einem Atom absorbiert. Erst durch die Überlagerung vieler derartiger Prozesse entsteht das typische Interferenzmuster.

Dann beobachten wir keine makroskopischen Superpositionen wie “der Fußball ist im Tor und der Fußball geht am Pfosten vorbei”.

D.h. “unsichtbar” bedeutet zunächst, dass diese Phänomene für makroskopische Objekte nicht, und für mikroskopische Objekte nicht direkt beobachtet werden.

“Unsichtbar” bedeutet auch, dass uns einerseits der mathematische Formalismus der Quantenmechanik zwar sagt, dass derartige Superpositionen rein mathematisch existieren müssen, da wir nur so die korrekten Vorhersagen erhalten - z.B. am Doppelspalt - andererseits jedoch keine direkte Beobachtung von Interferenz oder Superposition vorliegt. Das kann man nun unterschiedlich interpretieren:

1a) der mathematische Formalismus ist ein reines Rechenwerkzeug und sagt uns nichts über das, was tatsächlich existiert oder geschieht; er erlaubt uns jedoch die Berechnung der Messergebnisse
1b) der mathematische Formalismus trifft ohnehin nur auf statistische Ensembles zu, nie auf einzelne Objekte

2) Quantenobjekte existieren tatsächlich in Superpositionszuständen, diese Superpositionen “verschwinden” jedoch im Zuge einer Messung; letztlich führt das zum sogenannten “Kollaps der Wellenfunktion”, d.h. wenn ich das System beobachte, dann verschwindet die Superposition und es verbleibt das klassische Bild wie z.B. “der Fußball ist im Tor [I]”. Diese Interpretation ist in sich nicht wirklich konsistent, da man logisch nicht unterscheiden kann zwischen Situationen, in denen die Superposition verschwinden soll, und anderen, in denen sie erhalten bleibt; man mogelt sich aus der Nummer raus.

Die Dekohärenz besagt mathematisch im wesentlichen, dass für Quantenobjekte in Wechselwirkung mit der Umgebung - Luftmoleküle auch im Hochvakuum, thermische Photonen auch nahe am absoluten Nullpunkt - makroskopische Superpositionszustände von uns jeweils einzeln vertrauten Zuständen entstehen, stabil bleiben, jedoch wechselweise nicht mehr miteinander interferieren und somit wechselweise unsichtbar sind. Also “der Fußball ist im Tor und der Fußball geht am Pfosten vorbei”. Das kann man nun im Sinne von (1) oder (2) weiter interpretieren.

3) Man kann jedoch auch die Interpretation vertreten, dass dieser Zustand “der Fußball ist im Tor und der Fußball geht am Pfosten vorbei” tatsächlich real existiert, weil uns die Dekohärenz sagt, dass die beiden Fälle wechselweise unsichtbar sind. Genauer: das Stadion ist tatsächlich im Superpositionszustand “(der Fußball ist im Tor und die Fans jubeln) und (der Fußball geht am Pfosten vorbei und die Fans bleiben ruhig)”. Jeder Fan existiert dann in einer Superposition, wobei die beiden “Komponenten” des Fans bzw. Stadions wechselweise für einander unsichtbar werden; eine “Komponente” des Fans beobachtet dann z.B. “der Fußball ist im Tor und die Fans jubeln”, die andere “Komponente” des Fans beobachtet die andere Situation. Dies ist die Everettsche oder “viele-Welten-Interpretation” die aus dem Formalismus der Quantenmechanik - heute insbs. der Dekohärenz - hergeleitet werden kann, also nicht gesondert postuliert werden muss.

Die Unterscheidung (1 - 3) und weiterer Interpretationen ist weitgehend eine philosophische und keine im engeren Sinne physikalische Fragestellung, da die Vorhersagen der Theorie unabhängig von der gewählten Interpretation immer experimentell bestätigt werden. Die Frage “warum wird die Superposition unsichtbar?” wird dabei unterschiedlich beantwortet
1) irrelevant; die (statistischen) Vorhersagen sind zutreffend
2) Postulat eines Kollapses, damit die mathematischen Vorhersagen zu den Beobachtungen passen; die Superposition verschwindet
3) aufgrund der Dekohärenz, d.h. die Superposition bleibt existent

Die philosophische Grundhaltung ist entscheidend:
A) Physik befasst sich mit messbaren Phänomenen, also mit dem, was wir beobachten
B) wie oben gesagt logisch nicht konsistent
C) Physik befasst sich außer mit messbaren Phänomenen damit, was tatsächlich real existiert und geschieht

Wenn ich mich auf (A) beschränke, dann bin ich mit (1) gut bedient, der Rest kann mir egal sein, Wenn ich bei (B/2) bin, sollte ich die logische Konsistenz meiner Position hinterfragen. Wenn ich den Anspruch (C) habe, ist (1) unbefriedigend, (3) dagegen ein logisch naheliegender Standpunkt.
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.

Ge?ndert von TomS (04.04.19 um 09:18 Uhr) Grund: Ergänzungen
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