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Alt 17.07.10, 15:22
Knut Hacker Knut Hacker ist offline
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Standard AW: Paradoxien-ihr Wesen als begriffliche Rückkopplungen

2. FORTSETZUNG

4) Eubulides´ Lügnerparadoxon: Epimenides, der Kreter, sagt, dass alle Kreter Lügner sind. Lügt er selbst?
Wenn nicht, sagt er die Wahrheit, nämlich, dass auch er lügt, so dass er doch nicht die Wahrheit sagt, also lügt. Dann aber sind die Kreter nicht Lügner, so dass er die Wahrheit sagt, dass auch er lügt usw...
Der Zirkel ergibt sich aber hier nicht zwangsläufig. Denn wenn Epimenides als Kreter lügt, dann heißt das nur, dass entgegen seiner Aussage nicht „alle“ Kreter Lügner sind, er selbst also möglicherweise die Wahrheit spricht (dann kommt es zum Paradoxon), möglicherweise aber nur in dem Punkt lügt, dass auch er lügt. Dann heißt die Wahrheit: „Alle Kreter außer mir sind Lügner.“ Die Lüge in der Aussage umfasst dann nicht auch die Aussage selbst.
Dies wäre der Fall, wenn jemand sagte: „Ich sage die Unwahrheit.“ Hier ist die Aussage so allgemein, dass sie sich auch selbst beinhaltet.
Ebenso: „Es gibt keine Wahrheit.“ „Welchen Sinn sollte ein Sinn haben?“ „Welchen Grund hat die Kausalität?“ „Was ist das, dass etwas ist?“ „Dieser Satz ist falsch.“ „Warum fragt der Mensch immer: warum?“ „Welche Antwort auf die Frage nach der Wahrheit ist wahr?“ „Wenn Gott allmächtig ist, kann er dann auch nicht allmächtig oder gar nicht sein?“ „Befolge dieses Gebot!“ „Auch wenn alles erklärbar wäre, bliebe die Frage, warum“ „Es ist nicht möglich, zu sagen, was man gerade tut: man müsste sagen, dass man gerade sagt, dass man gerade sagt....“ „Was ist 'außerhalb' von Raum, 'vor' und 'nach' der Zeit?“ „Man kann nicht wollen wollen“ (vergleiche Schopenhauer zur Widerlegung der Willensfreiheit).

Wandelt man das selbstbezügliche Lügenparadoxon in die Allgemeinaussage eines Nicht – Kreters um, dass alle Kreter Lügner seien, zeigt sich, dass Allgemeinaussagen, insbesondere „Alles“- und „Nichts“- Sätze (einschließlich der naturwissenschaftlichen, durch Abstraktion gewonnenen Erkenntnisse), mangels verbleibender Überebene nicht verifizierbar, sondern nur im konkreten Fall falsifizierbar sind (vergleiche Popper).Denn selbst wenn die Überprüfung aller lebenden Kreter ergeben würde, dass sie lügen, und man dies auch bezüglich aller verstorbenen herausfände, müsste man noch alle künftig geborenen überprüfen. Ein einziger, der nicht lügt, genügt jedoch, um den abstrakten Lügnersatz zu widerlegen, das heißt der Abstraktion die konkrete Basis zu entziehen.
Analoges gilt für den „Nichts“-Satz, dass kein Kreter lüge.

5) Gott kann man nicht beweisen, weil er so definiert ist, dass er nicht definiert werden kann. Wegen seiner Transzendenz fehlt die Metaebene zu seiner Verifizierung, insbesondere steht er auch über dem Sein und Nichtsein (Bonhoeffer: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“). Selbst wenn es eine Überebene gäbe, von der aus er bestätigt werden könnte – was ein Widerspruch wäre, weil dadurch Gott transzendiert würde -, bedürfte es einer Über-Überebene, um die Überebene zu bestätigen usw..
Gott lässt sich aber auch nicht widerlegen. Dies widerspricht dem obigen Grundsatz, dass Allgemeinaussagen (nur) falsifizierbar sind, nicht, da die Transzendenz zwar ein Allgemeinbegriff ist, aber eben auch die Begriffsebene („beweisen“ - „widerlegen“) als Bezugspunkt einschließt.
Eine begriffliche Vorstellung – „ Jenseits“ - wird ins Unvorstellbare (auch das ist eine Vorstellung) projiziert (ein Selbstwiderspruch), so dass sich Gott jeder Rationalisierung entzieht.

Es handelt sich bei „Gott“ gleichwohl nicht um einen bloßen Leerbegriff (wie den des Nichts, der sich ebenfalls der Beschreibung, jedenfalls einer widerspruchsfreien, entzieht, da das Nichts nicht sein kann, ohne doch etwas zu sein). Denn es gibt unser Bewusstsein (jedenfalls in unserem Bewusstsein) und in diesem ein Sein, das von Herkunft, Ziel, Ausmaß, Differenziertheit usw. unendlich und unbegreiflich erscheint, so dass wir uns (in unserem Bewusstsein) der Begrenztheit unseres Bewustseins und unseres Daseins (in diesem) bewusst sind. Im Wahrgenommenen entdecken wir jedoch, dass alles mit allem zusammenhängt und untereinander selbstähnlich ist (Chaosforschung). Das lässt den Schluss zu (immer in unserem Bewusstsein), dass das Bewusstsein eine selbstähnliche Widerspiegelung von etwas darüber Hinausreichenden ist (vergleiche den Ebenbildgedanken der Genesis).

Der Transzendenzglaube lässt sich freilich auch als Evolutionsstrategie zur Arterhaltung erklären. Da sich beim Menschen Selbstbewusstheit entwickelt hat, ist ihm die eigene Nichtexistenz (vor der Geburt und nach dem Tod) unvorstellbar, und die Existenz erscheint ihm unvollkommen (aufgrund der begrenzten Erkenntnismöglichkeiten seines Bewusstseins).Die Achtung und damit Bewahrung des eigenen Lebens und des Lebens der Mitmenschen wird durch den Jenseitsglauben (samt Moralvorstellungen, insbesondere der Wertung als „gut“ und „böse“) motiviert, der sich zudem anbietet, um die Unerklärlichkeit des eigenen Todes zu überbrücken und daher dem ohnehin todgeweihten Leben „Sinn“ zu verschaffen.

3.FORTSETZUNG folgt

Ge?ndert von Knut Hacker (02.08.10 um 17:20 Uhr)
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