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Alt 17.07.10, 15:27
Knut Hacker Knut Hacker ist offline
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Standard AW: Paradoxien-ihr Wesen als begriffliche Rückkopplungen

3.FORTSETZUNG

6) Zenons Bewegungsparadoxien(Teilungsparadoxien) lassen sich abstrahierend auf das Problem zurückführen, ob das Ganze aus unendlich vielen Teilen besteht.Ist dies der Fall, dann ist eine Bewegung unmöglich, weil unendlich viele Teilstrecken überwunden werden müssen. Der Vorsprung des Läufers Achilles vor der Schildkröte ist nie aufholbar, weil das Tier in der Zeit, in der der Läufer den ursprünglichen Vorsprung aufholt, schon wieder einen neuen gewinnt, den der Läufer wieder aufholen muss usw..Der Vorsprung wird zwar immer kleiner, entsteht aber unendlich oft immer neu.

Der unendliche Regress ergibt sich dadurch, dass ein abstraktes Reduktionsverhältnis (Ganzes-Teil) auf die Reduktion (Teil) übertragen wird, so dass eine Selbstbezüglichkeit entsteht, die (im Gegensatz zum Zirkel) offen bleibt, weil sie nur ein Element (Teil) des auf sich selbst angewandten Begriffspaares (Ganzes-Teil) betrifft.

Zenons Paradox entsteht nicht, wenn man die Sicht der Schildkröte zugrundelegt. Denn in der Zeit, in der sie ihren ursprünglichen Vorsprung ausbaut, legt der Läufer längst eine darüber hinausreichende Strecke zurück. Der Läufer legt also nicht nur die hinter der Kröte liegenden Teilstrecken zurück, sondern auch! Das Paradox schlägt aus dieser zeitbezogenen Sicht fehl, da sich dabei das Reduktionsverhältnis Zielstrecke/Teilstrecke nicht ergibt.

Das Bewegungsparadoxon Zenons beruht auf zwei abstrakten Prämissen, die den Raum für eine „passende“ Lösung des Problems entsprechend einengen und in den heutigen Naturwissenschaften nicht mehr anerkannt sind, nämlich, dass das Ganze (Laufstrecke) lediglich die Summe seiner Teile sei, und dass Raum und Zeit absolute Größen seien, statische Gegebenheiten, voneinander unabhängig, wobei die Zeit den Raum linear überlagere.
Die Chaos – und Komplexitätsforschung hat die reduktionistische Sicht Zenons insofern widerlegt, als nunmehr anerkannt ist, dass das Ganze gegenüber seinen Teilen qualitativ etwas anderes darstellt, nicht nur quantitativ als deren Summe bestimmt wird.Auf eine Laufstrecke angewandt, bedeutet dies die Selbstverständlichkeit, dass Teilstrecken erst durch Teilung entstehen (Das Ganze besteht nicht aus Teilen, sondern kann in solche zerstört werden), die real nicht unendlich fortgesetzt werden kann (worauf schon Aristoteles hingewiesen hat),sondern nur unbegrenzt oft, wobei aber immer endlich viele Teilstrecken zurückbleiben.Ohne die Teilung ist die Laufstrecke Struktur, nämlich die ausgerichtete Aneinanderreihung von real möglichen und daher endlich vielen Teilstrecken ( also nicht etwa die Nebeneinander -, Übereinander – oder Querlegung von Teilstrecken, die aber ebenfalls nur gedanklich – reduktionistisch – unendlich klein und daher unendlich viele sein können).
Nach der Quantenphysik ist eine Strecke nicht unendlich teilbar. Die kleinstmögliche Strecke ist die Planck– Länge.Alles was darunter liegt, ist nicht mehr differenzierbar.In der Quantenphysik verschwimmt der Mikrokosmos zwischen Sein und Nichtsein. Das Elementarteilchen ist (unbeobachtet) sowohl nirgends als auch überall (Heisenberg´sche Unschärferelation).

Die Teilstrecken, die bei einer Bewegung zurückgelegt werden müssen, sind nicht unendlich klein, sondern unbegrenzt.Alles ist ungenau und alle Grenzen verschwimmen. Gehörten diese zum einen oder zum anderen voneinander Abgegrenzten oder zu beidem, wären sie keine Grenzen, weil sie im Abgegrenzten aufgingen..Gehörten sie weder zum einen noch zum anderen,wären sie ebenfalls keine Grenzen, sondern etwas – wenngleich unendlich teilbares - Drittes zwischen dem Getrennten.Es gibt sie also überhaupt nicht, ebenso wenig wie die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft,wo dies besonders offenkundig wird. Daher ist alles Eines und dieses Eine mangels Identität (es kann ja nicht von etwas anderem unterschieden werden) nichts. Dieses Nichts kann es aber nicht geben, da es sonst ja doch etwas wäre.
Alle Begriffe sind Abstraktionen und daher im Konkreten bei genauer Betrachtung unscharf.

Zenons Laufstrecke besteht daher weder aus unendlich vielen Teilstrecken, noch ist sie in solche teilbar! Vielmehr kann man die Strecke unbegrenzt oft teilen, jedes dabei entstehende Teil ist aber begrenzt.So wie man unbegrenzt zählen kann, dabei aber immer eine endliche Zahl nennt.Die Zahl der Teilstrecken ist – wie der Weltraum - unbegrenzt, aber endlich.Eine Kugeloberfläche ist ebenfalls unbegrenzt aber endlich.Ein weiteres Beispiel zur Veranschaulichung: Gegeben sei ein Quadrat mit der Seitenlänge von einem Meter. Der Inhalt beträgt dann einen Quadratmeter,der Umfang vier Meter. Halbiert man zwei gegenüberliegende Seiten und verdoppelt man dafür die beiden anderen Seiten ,bleibt der Inhalt von einem Quadratmeter, der Umfang wächst jedoch auf fünf Meter. Teilt man die Seiten von einem halben Meter wiederum auf einen Viertelmeter, während man die beiden anderen Seiten von zwei Metern auf vier Meter verdoppelt, bleibt der Rauminhalt wiederum gleich, während sich der Umfang weiter vergrößert. So kann man den Umfang unbegrenzt weiter vergrößern, der Rauminhalt bleibt jedoch immer endlich.

Nach der Relativitätstheorie löst sich das Bewegungsparadoxon auf folgende Weise:
Jeder sich selbst überlassene Körper befindet sich in gleichförmiger geradliniger Bewegung.Raum und Zeit sind Eigenschaften der Materie, sie verschwinden mit dieser. Demnach ist Bewegung ein Grundzustand, der nur relativ zum Beobachter wahrnehmbar ist, der nicht „parallel gleichschnell“ bewegt ist.Die Bewegung erfolgt nicht in einem vorgegebenen Raum-Zeit-Kontinuum relativ zu diesem, sondern dieses ist mit dem bewegten Körper verbunden (Eigenraum, Eigenzeit).Zenons Läufer legt also keine Strecken im Raum innerhalb einer Zeitspanne zurück (unendlich viele Teilstrecken und Zeitabschnitte), sondern ändert nur seinen Grundzustand der Bewegung - in Bezug auf einen nicht gleichermaßen bewegten Beobachter- durch Beschleunigung und damit seine Raumzeit.

Mathematisch gesehen, ergibt sich das Zenon´sche Paradoxon aus einer unzulässigen Koordinationstransformation.Bewegung wird in einem Koordinatensystem mit den Koordinaten Strecke und Zeit abgebildet.Sie ergibt sich in der Relation auf den Nullpunkt. Verschiebt man diesen mit der Position des bewegten Körpers , lässt sich keine Bewegung auf dem mitbewegten Koordinatensystem ablesen.Die Verschiebung ist natürlich unbegrenzt möglich – worauf Zenon allein abstellt - , Bewegung ergibt sich jedoch nur in Bezug auf das ursprüngliche Koordinatensystem. Bewegung ist definiert als Strecke / Zeit. Strecke ist etwas Eindimensionales. Verkürzt man sie so, dass sie auf die Dimension Null zustrebt, kann von einer Bewegung daher nicht mehr gesprochen werden.Damit sind wir wieder bei der Speziellen Relativitätstheorie, die sich insoweit von der Newton´schen Physik gar nicht unterscheidet: Bewegung ergibt sich nur im Hinblick auf einen Beobachter, der nicht mit dem Bewegungsobjekt in gleicher Weise mitbewegt wird. Für den Läufer Zenons ergibt sich seine Bewegung erst in Relation auf die Umwelt, zum Beispiel die vorbeiziehenden Bäume und die überholte Schildkröte,für diese in Relation auf sich selbst.
Die Infinitesimalrechnung liefert nur eine mathematische Beschreibung des Paradoxons, keine Erklärung.

Eine moderne Variante des Zenon´schen Paradoxons ist das Thompson´sche Lampen –Paradoxon:
Knipse eine Lampe an und aus: zunächst im Abstand von einer Minute, dann von einer halben Minute, dann von einer Viertelminute usw.! Ist die Lampe nach zwei Minuten an oder aus? Wie oft musstest du knipsen?
(Thompson ruinierte so viele Lampen, dass die Hersteller mit den Nachlieferungen nicht mehr nachkamen, und verursachte so viele Kurzschlüsse, dass das gesamte Stromnetz des Landes immer wieder lahmgelegt wurde. Schließlich starb er an einem gewaltigen Stromschlag.
Zu seiner Beerdigung erschien Meister Lampe und strahlte flackernd zwei Minuten lang über das gesamte Gesicht, was in der Presse als taktlos kritisiert wurde.Die Lampenhändler boykottierten - trotz ihrer glänzenden Einnahmen - die Beerdigung, weil sie sich von Thompson dadurch ver*****t fühlten, dass dieser vor der Lösung des Paradoxons auffälligerweise gerade beim Versuch der Lösung verstorben war. „Als ob sie an dieser ein Interesse gehabt hätten!" höhnte die Presse.
Mathematiker, die der Lösung des Paradoxon entgegengefiebert hatten, formierten sich zu einem Protestzug gegen die Praxisuntauglichkeit der Lampen und gegen die theoretische Lösungsfeindlichkeit von Paradoxien.
Aus dem Grab soll heute noch täglich um Mitternacht das klickende Geräusch von Lampenschaltern zwei Minuten lang dringen- und anschließend ein tiefer Seufzer.
Soweit eine kleine Auflockerung des Themas durch mich.)

4.FORTSETZUNG folgt

Ge?ndert von Knut Hacker (02.08.10 um 17:22 Uhr)
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