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Alt 17.07.10, 16:28
Knut Hacker Knut Hacker ist offline
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Standard AW: Paradoxien-ihr Wesen als begriffliche Rückkopplungen

4. FORTSETZUNG

Eine weitere Variante des Teilungsparadoxons – es gibt eine Vielzahl wie z.B. das Serides(Haufen)-Paradoxon - habe ich mir einfallen lassen (Zeitparadoxon):
Es ist vollkommen ausgeschlossen, geboren worden zu sein.Denn wäre man geboren worden, müsste es einen letzten Augenblick gegeben haben, in dem man noch nicht geboren war, und einen ersten Augenblick, in dem man bereits geboren war. Beide Augenblicke müssten sich unterschieden haben und daher voneinander getrennt gewesen sein.Sie können aber nicht getrennt gewesen sein, da jeder noch so kleine Zwischenraum entweder zum letzten Augenblick des Noch-nicht-geboren-Seins oder zum ersten Augenblick des Bereits-geboren-Seins gehört haben müsste. Denn während dieses Zwischenraumes kann man nicht gleichzeitig ungeboren und geboren und auch nicht weder ungeboren noch geboren gewesen sein.
Ebenso ist es vollkommen ausgeschlossen, zu sterben. Denn stürbe man, müsste es einen letzten Augenblick geben, in dem man noch lebt, und einen ersten Augenblick, in dem man bereits tot ist. Beide Augenblicke müssten sich unterscheiden und daher voneinander getrennt sein. Sie können aber nicht getrennt sein, da jeder noch so kleine Zwischenraum entweder zum letzten Augenblick des Noch-Lebens oder zum ersten Augenblick des Bereits-tot-Seins gehören müsste. Denn während dieses Zwischenraumes könnte man nicht gleichzeitig lebendig und tot und auch nicht weder lebendig noch tot sein.

7) Das Überraschungsparadoxon (hier in der Version des Schulaufgabenparadoxons):
Der Lehrer kündigt der Schulklasse an, nächste Woche werde eine Klassenarbeit geschrieben, der Tag werde nicht preisgegeben, da die Arbeit so überraschend angesetzt werden solle, dass man sie am Tag zuvor nicht sicher erwarten könne. Die Schüler bereiten sich darauf nicht vor, da einer von ihnen seinen Klassenkameraden vorrechnete, die Arbeit könne überhaupt nicht abgehalten werden, wenn sie überraschend sein solle. Denn der letzte Schultag der kommenden Woche, der Freitag, scheide als Termin aus, da er der letztmögliche Termin wäre und daher als einziger noch in Betracht kommender Termin bereits nach dem Schulbesuch am Tag zuvor, am Donnerstag, feststünde und somit nicht überraschend wäre.Da der Freitag ausscheide, scheide auch der vorletzte Schulwochentag, der Donnerstag, aus, weil er am Mittwoch als einzig verbleibender Termin vorauszusehen wäre. Gleiches gelte auch für alle Tage zuvor.
Die Arbeit wird trotzdem geschrieben, beispielsweise am Freitag, - völlig überraschend!

Das Paradoxon ergibt sich daraus, dass der Begriff der Überraschung in der Ankündigung so weit reicht, dass er nicht nur auf den Zeitpunkt der Klassenarbeit bezogen werden kann, sondern auch auf die Abhaltung der Arbeit überhaupt. Die angekündigte Überraschung trat nicht hinsichtlich des Tages, an dem die Klassenarbeit geschrieben wurde, ein, sondern, weil sie überhaupt geschrieben wurde, obwohl die Klasse nicht damit gerechnet hatte, dal sie irrtümlich davon ausgegangen war, der Tag solle überraschend sein, nicht die Abhaltung. Eine Überraschung kann auch dadurch eintreten, dass sie überraschend nicht ausbleibt.

8) Das Rhetoren- Paradoxon (vereinfacht):
Protagoras bildet Euathlos zum Redner vor Gericht aus.Vereinbarungsgemäß soll das Honorar erst beim ersten Sieg des Euathlos vor Gericht fällig werden. Protagoras klagt das Honorar sogleich ein: Euathlos müsse es in jedem Fall zahlen, nämlich, wenn die Klage abgewiesen werde, wegen des Erfolges vor Gericht und, wenn ihr stattgegeben werde, sowieso. Euathlos wendet ein: Er sei in keinem Falle zur Entrichtung des Honorars verpflichtet, nämlich, wenn er dazu verurteilt werde, mangels Erfolges vor Gericht nicht und, wenn die Klage abgewiesen werde, ohnehin nicht.
Beide haben recht (bei logischer Beurteilung, nicht bei rechtlicher, wonach die Vereinbarung so auszulegen ist, dass die Fälligkeitsbedingung nicht auf den gerichtlichen Streit um sie selbst bezogen ist).

Auch hier ist die Paradoxie darin begründet, dass die Zahlungsbedingung (Sieg vor Gericht) so allgemein vereinbart worden ist, dass sie auch den Erfolg im gerichtlichen Streit um ihren Eintritt umfasst. Sie tritt bei der gerichtlichen Verfolgung des bedingten Zahlungsanspruches selbst bei dessen gerichtlicher Aberkennung ein und bleibt bei der Zuerkennung aus.(Rechtlich wäre die Klage abzuweisen, da Euathlos erst durch ein klageabweisendes Urteil Erfolg haben kann und daher der Honoraranspruch erst mit einem solchen Urteil fällig wird. Erst nach der Klageabweisung kann Protagoras – notfalls durch eine erneute Klage – den Honoraranspruch als nunmehr fällig geworden geltend machen).

IV Paradoxien sind eigentlich Tautologien. Die abstrakte Begrifflichkeit der Fragestellung zielt auf eine Antwort auf der gleichen Abstraktionsebene ab.Die tautologische Frage, ob ein Baum ein Baum ist, ist begriffsqualitativ der Frage gleichwertig, ob das Sein ist.
Alles Fragen stößt daher mit zunehmender Abstraktion ihres Gegenstandes auf einen Abstraktionshorizont, an dem die Antworten in ihrer Konturlosigkeit nichtssagend, tautologisch, zirkulär, infinit werden.Letztlich wird dabei über das Denken gedacht: Denkinhalte und – strukturen werden auf immer abstrakterer Begriffsebene hinterfragt, bis die Metaebene fehlt.
Auf das gleiche Problem stößt man bei der Hinterfragung von Sinneseindrücken und Gefühlen: Was ist hell, laut, stinkend, wohlschmeckend, schmerzend, traurig? Auch Wertungen entziehen sich der Verbalisierung über die Bezeichnung hinaus: Was ist schön, böse, gerecht?

ENDE

Ge?ndert von Knut Hacker (02.08.10 um 18:27 Uhr)
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