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Alt 17.07.07, 22:20
zeitgenosse zeitgenosse ist offline
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Standard AW: Theremin und Co, Akustisches

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Zitat von richy Beitrag anzeigen
Ich koennte mir vorstellen, dass es verschiedene Arten des Residualhoerens gibt. Einmal eine Rekonstruktion des Grundtones anhand der Obertoene. Sowie das Hoeren von Schwebungen.
Ich will mich nicht direkt festlegen, weil die Thematik alles andere als trivial ist; deshalb ein kurzer Abriss über den fehlenden Grundton (Missing fundamental) - so wie ich es bisher erkennen konnte:

Es sollte zunächst darauf hingewiesen werden, dass sich der Residualton von einem Differenzton unterscheidet; denn eigentlich handelt es sich beim ersteren um einen Quotiententon, dessen Tonhöhe sich in der Regel aus dem g.g.T. der an der Wahrnehmung beteiligten Obertöne ergibt. Darüber existieren verschiedene Vorstellungen wie das "Periodicity Pitch Modell", das "Pattern Recognition Modell" oder das "Korrelationsmodell".

Wie gesagt hat J.F. Schouten den Begriff des Residuums in die Theorie eingeführt, worunter er einen "virtuellen Ton" verstand, der dann wahrgenommen wird, wenn ein Obertonspektrum ohne Grundton vorliegt. Im Unterschied zu seinen Vorgängern arbeitete er mit einer optischen Sirene.

Bekannt ist in der Tat, dass ein c und die Quinte dazu den Eindruck erzeugt, es erklinge auch ein C. - Lieber Leser, probiere es aus auf dem Klavier! - Untersuchungen von Houtsma (1979) haben gezeigt, dass ein Residualton bereits wahrgenommen werden kann, wenn er aus nur zwei Teiltönen hervorgeht. Ob es sich bei den Stimuli um ein harmonisches oder ein nichtharmonisches Intervall handelt ist von sekundärer Bedeutung.

Bereits Seebeck hatte im Zuge seiner Lochsirenenexperimente folgende Schlussfolgerung gezogen:

"Das Ohr empfindet den Eindruck einer periodischen Bewegung als Ton; alle Glieder, welche an dieser Periode Theil nehmen, können [...] zur Stärke des Tons beitragen."

Ohm, der das Fouriertheorem auf die Akustik übertrug, hatte bereits früher Kritik an Seebeck's These der Tonbildung durch Periodizität einer Pulsfolge geübt, indem er festhielt, dass bei einer sinusförmigen Schwingung immer diejenige Tonhöhe als Grundtonhöhe wahrgenommen wird, die der Frequenz der Schwingung entspricht. Seebeck wiederum hielt fest, dass die Anwesenheit einer Sinusschwingung bestimmter Frequenz nicht grundlegend zum Hören einer Tonhöhe dieser Frequenz sei. Ohm ging jedoch davon aus, dass dieses Phänomen der "akustischen Illusion des Ohres" zuzuschreiben sei. Seebeck zeigte sich immerhin versöhnlich, indem er erklärte, dass die unterschiedliche Klangfarbe von Tönen gleicher Frequenz nur durch die Zerlegbarkeit der periodischen Schwingung in ihre Sinuskomponenten zu verstehen sei.

Mit seinen Schlussfolgerungen hatte Seebeck das Residuum bereits ohne zu wollen vorweggenommen. Auch Hermann (1890) kam zum Schluss, dass im Frequenzspektrum gesungener Vokale der Grundton oft nur sehr schwach vertreten ist, ungeachtete dessen aber immer wahrgenommen wurde. Aus seinen eigenen Experimenten - in Anlehnung an König's Unterbrechungstöne - schloss er, dass das das Ohr dazu fähig ist, periodische Schwankungen der Amplitude als Ton wahrzunehmen. Weitere Untersuchungen in diese Richtung stammten von Pipping, welcher feststellte, dass eine Gruppe von Harmonischen bereits ausreichte, um eine bestimmte Tonhöhe zu generieren. Er führte dieses Phänomen darauf zurück, dass der fehlende Grundton durch die nichtlineare Verarbeitung im Hörorgan wiederhergestellt wurde.

Fletscher (1924) vermochte auf elektronischem Wege nachzuweisen, dass eine beliebige aus dem "komplexen Ton" herausgenommene Reihe dreier aufeinander folgende Obertöne ausreichte, um eine deutliche Grundfrequenz hörbar zu machen. Auch er begründete diesen Sachverhalt mit der Hypothese, dass der fehlende Grundton durch das nichtlineare Übertragungsverhalten des Ohres bestimmt wird.

Widerlegt wurde die Resonanztheorie von Helmholtz durch Békésy (Nobelpreis für Medizin, 1961). Zwar muss auch dessen Wanderwellentheorie aus moderner Sicht als ungenügend angesehen werden. Sie wurde durch eine zelluläre Verstärkertheorie (Cochlear-Amplifier) abgelöst.

In neueren Studien kommt Plomb zum Schluss, dass die eindeutig wahrnehmbare Tonhöhe eines komplexen Tones nicht von der Anwesenheit des Grundtones abhängt, sondern dass dem Gehör vielmehr durch die Periodizität eines Signals die primäre Voraussetzung zur Wahrnehmung des Grundtones gegeben ist.

Gegenüber diesen Vorstellungen gehen die Verfechter des "Pattern Recognition Modells" davon aus, dass es sich beim Residualton in erster Linie nicht um eine aus der Gesamtperiode einer Schwingung abgeleitete Wahrnehmung handelt, sondern um das Produkt eines angelernten Mustererkennungsprozesse. Allerdings versagt dieses Modell zunächst bei der quantitativen Betrachtung der simultanen Repräsentation zweier Residualtöne. Bei der Kombination zweier Residualtöne entsteht nämlich immer ein dritter Residualton, der sich aus der Gesamtperiode der Ausgangstöne ergibt. Liegt dieser resultierende Residualton nicht tiefer als die anderen zwei Residualtöne, wird er immer sehr deutlich wahrgenommen.

Offensichtlich ist das "Periodicity pitch Modell" - welches die wahrgenommenen Tonhöhen aufgrund der Periodizität des aus den Obertonreihen resultierenden Signals ableitet - auf den ersten Blick realitätsnaher aufgebaut.

Jüngste Untersuchungen im Rahmen des "Korrelationsmodells" befassen sich mit der neuronalen Weiterverarbeitung des vom Hörnerv stammenden Erregungspotentials. Nach Langer (1997) reagieren Neuronen im 'Colliculus inferior' häufig auf Signale, die in harmonischer Beziehung zueinander stehen.

Dazu siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Colliculi_inferiores

Langer hat nachgewiesen, dass es bestimmte Klassen von Neuronen in der Hörbahn gibt, die wie eine Korrelationsanalyse arbeiten. Diese Analyse überträgt die Information über die Periodizität eines Signals an das Gehirn. Damit erfährt das "Periodicity Pitch Modell" eine Erweiterung auf neuronaler Ebene.

Ungeachtet obiger Einschränkung bestünde aber die ernsthaft in Betracht zu ziehende Möglichkeit, dass sich alle drei Modelle in einer Synthese vereinigen liessen indem auf einer ersten Ebene die Neuronen im 'Colliculus inferior' aus einem komplexen Signal periodische Strukturen extrahieren und somit Spektren mit definierten Tonhöhen generieren. Auf einer höheren Ebene würde das wahrgenommene Spektrum mit bereits erlernten Teiltonstrukturen verglichen und ggf. durch einen fehlenden Grundton ergänzt. Durch diese Synthese wäre es noch besser verständlich, wie aus zwei simultan dargebotenen Obertonreihen die Wahrnehmung mehrerer Residualtöne zustandekäme.

Man erkennt unschwer, dass es sich bei der "Physiologie des Hörens" um ein höchst anspruchsvolles Forschungsgebiet handelt.

Gr. zg

Ge?ndert von zeitgenosse (17.07.07 um 23:25 Uhr)
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