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Alt 27.11.22, 09:58
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TomS TomS ist offline
Singularität
 
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Standard AW: Axiome der Quantenmechanik - orthodoxe Interpretation

Im Folgenden einige Kritikpunkte eher aus der Innenansicht, d.h. zunächst ausgehend von (1) bis (7).

Zitat:
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Ich möchte im Folgenden kurz die üblicherweise verwendeten Regeln zur Quantenmechanik zusammenfassen und bzgl. der 'orthodoxen' bzw. sogenannten 'Kopenhagerer' Interpretation nach Bohr et al. kommentieren.

Kursiv gesetzter Text bezieht sich auf reale Systeme und deren Dynamik, Präparation und Messung, sowie tatsächlich messbare Größen d.h. Observablen sowie deren Messwerte.

Normal gesetzter Text bezieht sich auf rein mathematische Objekte, die die genannten physikalischen Systeme etc. in gewissem Sinne repräsentieren.


Konsens

1. Die Beschreibung eines Quantensystems erfolgt im Rahmen eines separablen Hilbertraumes

2. Der Zustand eines einzelnen isolierten Quantensystems wird durch einen normierten Vektor |q> als Element dieses Hilbertraumes beschrieben. In vielen praktischen Fällen entspricht dies einer Wellenfunktion q(x).

3. Die Zeitentwicklung eines einzelnen isolierten Quantensystems wird durch einen unitären Zeitentwicklungsoperator U(t) beschrieben; diese Regel ist vollständig äquivalent zur Schrödingergleichung

Speziell orthodoxe und verwandte Interpretationen - nicht allgemein akzeptiert

4. Eine beobachtbare Größe, d.h. eine sogenannte Observable eines Quantensystems wird durch einen selbstadjungierten Operator A repräsentiert, der auf die Zustandsvektoren wirkt.

5. Die möglichen Messwerte einer Observablen entsprechen dem Spektrum d.h. den verallgemeinerten Eigenwerten a des korrespondierenden selbstadjungierten Operators A, d.h.

(A - a) |a> = 0

6. Sei das Quantensystem in einem Zustand präpariert, der mittels eines Zustandsvektors |q> repräsentiert wird. Wird eine Messung einer Observablen, repräsentiert durch den Operator A, durchgeführt, so ist die Wahrscheinlichkeit p(a), den Messwert a zu erhalten, gegeben durch

p(a) = | <a|q> |²

Dies ist die sogenannte Bornsche Regel.

Verwandt damit ist die Regel, dass der Erwartungswert für die Observable A über viele Messungen an identisch präparierten Systemen gegeben ist durch

<A> = <q| A |q>

7. Nach einer Messung und insbs. im Falle aufeinanderfolgender Messungen am selben Quantensystemen kann eine Messung mit Messwert a aufgefasst werden als Präparation des Systems in einen neuen initialen Zustand, repräsentiert durch den Zustandsvektor |a>, der in der Folge für die weitere Zeitentwicklung verwendet wird.

Dies ist das sogenannte von-Neumannsche Projektionspostulat.
Zu (7)

In dieser Formulierung ist (7) zu eng gefasst, wie Beispiele zur Ortsmessung zeigern:
i) Tröpfchen in einer Nebelkammer oder schwarze Flecken auf einer Photoplatte stellen keine exakt scharfe Messung mit einem exakten Eigenwert dar, sondern unscharfe Messungen.
ii) Speziell nach der Absorption eines Photons liegt im Zustand nach der Messung überhaupt kein Photon mehr vor, d.h. es ist sinnlos, einen wie auch immer gearteten Eigenzustand des Photons zu postulieren.
Das Projektionspostulat kann jedoch mittels geeigneter mathematischer Methoden modifiziert werden, so dass diesen Messungen Rechnung getragen wird.

Der von Neumannsche Messprozess wird als Wechselwirkung des zu messenden Systems mit einem Messgerät dargestellt. Dabei wird für das Messgerät ein Zustand |Za> eingeführt, d.h. Messgerät und gemessenes System befinden sich zuletzt im Zustand Zustand |a, Za> bzw. zunächst in einem entsprechenden Superpositionszustand, der wiederum das Postulat (7) erfordert, da keine Superposition eines Zeigers zu verschiedenen Messwerten beobachtet wird. Dabei wird jedoch ignoriert, dass das Messgerät ein komplexes Vielteilchensystem ist, für das die o.g. Formulierung nicht als Axiom eingeführt werden kann; vielmehr müsste der “effektive Zustand” |Za> aus dem Zustand des Vielteilchensystems abgeleitet werden.

Dies leistet die Dekohärenz. Sie ersetzt jedoch nicht (7), da die Superpositionen letztlich nicht verschwinden. Das Ergebnis der Dekohärenz ist jedoch ein Zustand, der eine Regel wie (7) als fundamentales Axiom fragwürdig erscheinen lässt.

In anderen Fällen verbietet es sich, gewisse Beobachtungen als Messung mit (7) aufzufassen, da die Anwendungen von (7) zu falschen Vorhersagen führt. Betrachtet man jedes Tröpfchen einer Spur in der Nebelkammer als (unscharfe) Ortsmessung, so würde die Projektion auf einen Zustand führen, der näherungsweise isotrop ist und daher die offensichtlich vorhandene Richtung der Spur (entspr. des Impulses) verliert. Die gerichteten Spuren folgen dagegen direkt aus einer einfachen quantenmechanischen Berechnung ohne (7).

Insgs. läuft dies daraus hinaus, dass Beobachtungen existieren, die im o.g. Sinne nicht als Messung interpretiert werden können. Fasst man ein einzelnes Tröpfchen als Ortsmessung auf, folgt das gerade diskutierte Problem. Fasst man die gesamte Spur als Messergebnis auf, existiert kein entsprechender Operator A, da die Spur sicher nicht instantan entsteht, (7) jedoch ausschließlich für instantane Messungen formuliert ist.

Nicht zuletzt widersprechen sich (3) und (7), da (3) eine unitäre, lineare und invertierbare Vorschrift auf dem Hilbertraum darstellt, (7) jedoch eine nicht-unitäre, nicht-lineare und und nicht-invertierbare Vorschrift. (3) ist deterministisch, (7) zusammen mit (6) dagegen explizit stochastisch. Als Konsequenz muss letztlich entschieden werden, wann (3) und wann (7) anzuwenden ist. Dazu existiert keine Regel - und es kann auch keine existieren, da ja der Messprozess als quantenmechanische Wechselwirkung des zu messenden Systems mit dem Messgerät gemäß (3) zu beschreiben ist, was jedoch im Widerspruch zu (7) steht.

Es läuft darauf hinaus (7) anzuwenden, wenn eine Messung erfolgt, wobei es keine fundamentale Regel gibt, die erklärt, was eine Messung ist und wann diese stattfindet; dies bleibt je Einzelfall dem Physiker überlassen (interessanterweise war es jedoch bisher immer möglich, dies konsistent festzulegen). Die Quantenmechanik verwendet in dieser Formulierung also den undefinierten und undefinierbaren Begriff der Messung.

Zu (6)

Einige der zuvor genannten Kritikpunkte treffen auch auf (6) zu. Darüberhinaus existieren weitere. (6) erscheint oft nicht als fundamentale Regel sondern als Konsequenz anderer mathematischer Modelle, die ohne (6) und (7) formuliert werden können.

Es ist möglich, (6) aus dem Begriff des sogenannten Finkelstein-Hartle Frequency Operators zumindest zu motivieren. Gleason’s theorem besagt, dass wenn ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf einem Hilbertraum eingeführt werden soll, (6) die einzig mögliche Form darstellt. Als Konsequenz sollte (6) keine fundamentale sondern eine abgeleitete Regel darstellen. Darüberhinaus erscheint es wünschenswert, zu erklären, warum überhaupt Wahrscheinlichkeit eingeführt werden sollen.

Zu (5)

Betrachtet man die Konstruktion eines klassischen Messgerätes z.B. zur elektrodynamischen Vorgängen, so ist letztlich der Weg von den mathematischen Größen wie Ladungen, Strömen und Feldern hin zu Anzeigen durchgehend erklär- bzw. berechenbar. In der Quantenmechanik ist dies für einen Operator A und das zugehörige Messgerät völlig unklar. Weder kann für ein gegebenes Messgerät der Operator A konstruiert werden, noch folgt aus einem Operator A die Konstruktion des Messgerätes. Letztlich hängt auch dies am undefinierten Begriff der Messung.
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.

Ge?ndert von TomS (27.11.22 um 11:00 Uhr)
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