§ 4. Beziehung der vier Koordinaten zu räumlichen und zeitlichen Meßergebnissen.
Analytischer Ausdruck für das Gravitationsfeld.
Es kommt mir in dieser Abhandlung nicht darauf an, die allgemeine Relativitätstheorie als ein möglichst einfaches logisches System mit einem Minimum von Axiomen darzustellen. Sondern es ist mein Hauptziel, diese Theorie so zu entwickeln, daß der Leser die psychologische Natürlichkeit des eingeschlagenen Weges empfindet und daß die zugrunde gelegten Voraussetzungen durch die Erfahrung möglichst gesichert erscheinen. In diesem Sinne sei nun die Voraussetzung eingeführt:
Für unendlich kleine vierdimensionale Gebiete ist die Relativitätstheorie im engeren Sinne bei passender Koordinatenwahl zutreffend.
Der Beschleunigungszustand des unendlich kleinen ("örtlichen") Koordinatensystems ist hierbei so zu wählen, daß ein Gravitationsfeld nicht auftritt; dies ist für ein unendlich kleines Gebiet möglich. X
1,X
2,X
3 seien die räumlichen Koordinaten; X
4 die zugehörige, in geeignetem Maßstabe gemessene 1) Zeitkoordinate. Diese Koordinaten haben, wenn ein starres Stäbchen als Einheitsmaßstab gegeben gedacht wird, bei gegebener Orientierung des Koordinatensystems eine unmittelbare physikalische Bedeutung im Sinne der speziellen Relativitätstheorie.
Der Ausdruck:
(1) ds² = dX
1² + dX
2² + dX
3² - dX
4²
hat dann nach der speziellen Relativitätstheorie einen von der Orientierung des lokalen Koordinatensystems unabhängigen, durch Raum-Zeitmessung ermittelbaren Wert. Wir nennen ds die Größe des zu den unendlich benachbarten Punkten des vierdimensionalen Raumes gehörigen Linienelementes. Ist das zu dem Element (dX
1, .... dX
4) gehörige ds² positiv, so nennen wir mit Minkowski ersteres zeitartig, im entgegengesetzten Falle raumartig.
Zn dem betrachteten "Linienelement" bzw. zu den beiden unendlich benachbarten Punktereignissen gehören auch bestimmte Differentiale dx
1 .... dx
4 der vierdimensionalen Koordinaten des gewählten Bezugssystems. Ist dieses sowie ein "lokales" System obiger Art für die betrachtete Stelle gegeben, so werden sich hier die dX
v durch bestimmte lineare homogene Ausdrücke der dx
σ darstellen lassen:
(2)
Setzt man diese Ausdrücke in (1) ein, so erhält man
(3)
wobei die g
στ Funktionen der x
σ sein werden, die nicht mehr von der Orientierung und dem Bewegungszustand des "lokalen" Koordinatensystems abhängen können; denn ds² ist eine durch Maßstab-Uhrenmessung ermittelbare, zu den betrachteten, zeiträumlich unendlich benachbarten Punktereignissen gehörige, unabhängig von jeder besonderen Koordinatenwahl definierte Größe. Die g
στ sind hierbei so zu wählen, daß g
στ = g
τσ ist; die Summation ist über alle Werte von σ und τ zu erstrecken, so daß die Summe aus 4 x 4 Summanden besteht, von denen 12 paarweise gleich sind.
Der Fall der gewöhnlichen Relativitätstheorie geht aus dem hier Betrachteten hervor, falls es, vermöge des besonderen Verhaltens der g
στ in einem endlichen Gebiete, möglich ist, in diesem das Bezugssystem so zu wählen, daB die g
στ die konstanten Werte
(4)
annehmen. Wir werden später sehen, daß die Wahl solcher Koordinaten für endliche Gebiete im allgemeinen nicht möglich ist.
Aus den Betrachtungen der §§ 2 und 3 geht hervor, daß die Größen g
στ vom physikalischen Standpunkte aus als diejenigen Größen anzusehen sind, welche das Gravitationsfeld in bezug auf das gewählte Bezugssystem beschreiben. Nehmen wir nämlich zunächst an, es sei für ein gewisses betrachtetes vierdimensionales Gebiet bei geeigneter Wahl der Koordinaten die spezielle Relativitätstheorie gültig. Die g
στ haben dann die in (4) angegebenen Werte.
Ein freier materieller Punkt bewegt sich dann bezüglich dieses Systems geradlinig gleichförmig. Führt man nun durch eine beliebige Substitution
neue Raum-Zeitkoordinaten x
1 .... X
4 ein, so werden in diesem neuen System die g
στ nicht mehr Konstante, sondern
Raum-Zeitfunktionen sein. Gleichzeitig wird sich die Bewegung des freien Messenpunktes in den neuen Koordinaten als eine krummlinige, nicht gleichförmige, darstellen, wobei dies Bewegungsgesetz unabhängig sein wird von der Natur des bewegten Massenpunktes. Wir werden also diese Bewegung als eine solche unter dem Einfluß eines Gravitationsfeldes deuten. Wir sehen das Auftreten eines Gravitationsfeldes geknüpft an eine raumzeitliche Veränderlichkeit der g
στ.
Auch in dem allgemeinen Falle, daß wir nicht in einem endlichen Gebiete bei passender Koordinatenwahl die Gültigkeit der speziellen Relativitätstheorie herbeiführen können, werden wir an der Auffassung festzuhalten haben, daß die g
στ das Gravitationsfeld beschreiben.
Die Gravitation spielt also gemäß der allgemeinen Relativitätstheorie eine Ausnahmerolle gegenüber den übrigen, insbesondere den elektromagnetischen Kräften, indem die das Gravitationsfeld darstellenden 10 Funktionen g
στ zugleich die metrischen Eigenschaften des vierdimensionalen Meßraumes
bestimmen.
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1) Die Zeiteinheit ist so zu wählen, daB die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit - in dem "lokalen" Koordinstensystem gemessen - gleich 1 wird.