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Alt 02.08.18, 23:55
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TomS TomS ist offline
Singularität
 
Registriert seit: 04.10.2014
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Standard AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?

Zitat:
Zitat von TheoC Beitrag anzeigen
Aus der Sicht des Über- Ichs, also der Summe aller meiner postulierten Existenzen gibt es dann aber keine Wahrscheinlichkeit im Außen, alles was passieren kann, passiert, und ich bin in allen diesen Welten gleich enthalten.

Müsste ich (oder irgendwer anderer) dann nicht viel öfters auch völlig unwahrscheinlichste Ereignisse erleben, da diese sich ja nicht von den wahrscheinlicheren unterscheiden, wenn alle Ereignisse so und so passieren, und ich auch in allen diesen Welten vorhanden bin???
Das ist z.B. eine wichtige Frage, und die können wir heute nicht wirklich beantworten.

Zitat:
Zitat von TheoC Beitrag anzeigen
Die Reduktion auf eine ausgezeichnete Welt, und das Verschwinden aller anderen, hat doch auch den philosophischen Vorteil, dass ich dann eben logischerweise in einer „wahrscheinlichen“ Welt lebe.
Zunächst mal muss die Everettsche QM die korrekten Wahrscheinlichkeiten reproduzieren, andernfalls wäre das kein philosophischer Nachteil sondern sie wäre schlicht falsch.

Tatsache ist, dass die Everettsche QM sämtliche mathematische Strukturen zur Berechnung der korrekten Wahrscheinlichkeiten liefert, jedoch kein Argument, warum wir diese so verwenden und interpretieren sollten.

Betrachten wir einen Würfel mit sechs Seiten, Augenzahlen 1 .. 6 und Augensumme 21. Die Wahrscheinlichkeit je Seite gemäß Abzählen der Seiten liefert jeweils 1/6. Kein Mensch käme auf die Idee, due Wahrscheinlichkeit entsprechend der Augenzahlen mit 1/21, 2/21, 3/21 = 1/7, ... 6/21 = 2/7 zu berechnen.

In gewisser Weise geschieht jedoch genau das in der Everettschen QM!

Nehmen wir einen Zustand

α|a> + β|b>

mit

α² + β² = 1

Triviales Abzählen liefert zwei Zustände, also die Wahrscheinlichkeiten

p(a) = p(b) = ½

Falsch! Die korrekte Wahrscheinlichkeit folgt natürlich aus

p(a) = α²
p(b) = β²

Aber warum ist das so? warum liefert der Vorfaktor eine Wahrscheinlichkeit? warum sollte er als eine solche interpretiert werden?

Wir wissen natürlich aufgrund unserer Experimente, dass dies so sein muss; wir können beweisen, dass dies ein konsistentes Wahrscheinlichkeitsmaß darstellt, und dass dies sogar eindeutig ist, d.h. das einzig zulässige, konsistente Wahrscheinlichkeitsmaß auf einem Hilbertraum (Gleason‘s Theorem).

Aber nur weil etwas ein konsistentes Wahrscheinlichkeitsmaß sein könnte, bedeutet das natürlich noch lange nicht, dass es dies in der Realität auch ist. Zurück zum Würfel: 1/21, 2/21, 3/21 ... liefert ein konsistentes Wahrscheinlichkeitsmaß, jedoch keines, das für einen Würfel realisiert wäre. Oder zu meinem Geldbeutel: die Beschriftung der Scheine liefert keine Wahrscheinlichkeit für das zufällige Herausgreifen eines Scheines.

Die Frage kann zweigeteilt werden:
Warum überhaupt Wahrscheinlichkeiten?
Wenn Wahrscheinlichkeiten, welches Wahrscheinlichkeitsmaß?

Die Antwort auf die zweite Frage ist nach Gleason eindeutig beantwortet, und sie entspricht mit

p(a) = α²
p(b) = β²

genau der bekannten Bornschen Regel.

Die Antwort auf die erste Frage ist auch nach Gleason offen bzw. zumindest sehr umstritten. Everett et al. liefern noch keine allgemein akzeptierte Erklärung (die orthodoxe QM natürlich auch nicht; sie hat lediglich ein Postulat zu bieten, jedoch keine Erklärung).

Nach Everett folgen also die korrekten Wahrscheinlichkeiten p(a), p(b) aus dem Formalismus, insbs. auf Basis der Schrödingergleichung ohne weitere, künstliche oder ad hoc Postulate. Aber dass überhaupt Wahrscheinlichkeiten folgen, ist noch offen.

Zitat:
Zitat von TheoC Beitrag anzeigen
Müsste ich (oder irgendwer anderer) dann nicht viel öfters auch völlig unwahrscheinlichste Ereignisse erleben, da diese sich ja nicht von den wahrscheinlicheren unterscheiden, wenn alle Ereignisse so und so passieren, und ich auch in allen diesen Welten vorhanden bin???
Nein.

Sobald wir verstanden haben, warum wir überhaupt Wahrscheinlichkeiten in den Formalismus hineininterpretieren dürfen oder müssen (?) folgen die korrekten Wahrscheinlichkeiten. Diese zweite Frage ist geklärt.
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.

Ge?ndert von TomS (02.08.18 um 23:57 Uhr)
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