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Wissenschaftstheorie und Interpretationen der Physik Runder Tisch für Physiker, Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretiker |
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#1
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Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
Hallo zusammen,
In der mehr als hundertjährigen Geschichte der Quantentheorie stellt Hugh Everetts Ansatz (1957) einen ersten Versuch dar, die Quantenphysik und ihre kontraintuitiven Phänomene wie Superposition und Verschränkung kohärent auf der Grundlage der Schrödinger Gleichung (SG) zu deuten. Dem angesichts der Quantenstruktur von Makroobjekten inkonsistent erscheinende Dualismus von Mikrowelt vs. Makrowelt, wie von der Kopenhagenschen Interpretation unterstellt , und der angesichts der Unvollständigkeit der van Neumannschen Kollapstheorie (Heisenberg Schnitt, Widerspruch mit der SG) setzt Everett seine These der „relativen Zustände“ als Komponenten einer universellen Wellenfunktion entgegen. Der „Charme“ dieser Interpretation liegt nicht nur in ihrer Vollständigkeit und Konsistenz, sondern vor allem darin, dass sie die die Quantentheorie „wörtlich nimmt“. Sie vermeidet eine Modifikation der genauesten Gleichung der Quantentheorie, i.e. der unitären, deterministischen SG (wie etwa durch die GRW - Theorie) oder ihre „Ergänzung“ durch „verborgene Variablen“ (Broglie - Bohmsche Theorie). Derartige Veränderungen der SG erscheinen mir im Rückblick wie Versuche ihre vermeintlich „ inakzeptablen“ Konsequenzen abzuwehren (z. B. globale Wellenfunktion des Universums, Paralleluniversen inklusive Vervielfältigung bewusster Lebewesen). Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass die Physik ihre eigenen (revolutionären) Ergebnisse nicht akzeptieren möchte (Kopernikus, Relativitätstheorie, Schwarze Löcher, etc.). Die Dekohärenz - Theorie D. Zehs hat die Beschäftigung mit Everett inspiriert und die Plausibilität seiner Theorie verstärkt (Wallace) , nachdem sie zwanzig Jahre lang totgeschwiegen worden war. Auch die Quantenkosmologie (z. B. Wheeler - deWitt Gleichung) setzt die Existenz einer globalen Wellenfunktion des Universums voraus. Jüngst wurde nicht nur die Existenz von Superpositionen von Makroobjekten nachgewiesen („Quantum ground state and single-phonon control of a mechanical resonator “, March 2010, https://www.nature.com/articles/nature08967), sondern auch der Versuch unternommen die reale Existenz von Ψ experimentell zu beweisen. („Exploring the realistic nature of the wave function in quantum mechanics”, January 5, 2018, https://phys.org/news/2018-01-explor...n-quantum.html) Es wäre iangesichts angesichts der Fortschritte der Experimentalphysik, interessanr, Eure Meinung zu dem faszinierenden Thema des Everettschen Ansatzes (und seiner Nachfolger?) zu erfahren. Bin selbst kein Physiker sondern nur interessierter Laie. „Der mathematische Formalismus der Quantentheorie [ist) in der Lage .. seine eigene Interpretation hervorzubringen, ohne auf irgendeine ‚externe Metaphysik‘ zurückgreifen zu müssen.“ (Bryce deWitt) |
#2
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AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
Hallo Nexus,
wie im Nachbarthema von Tom ausgeführt, halte ich die Arbeiten von Everett eher als Vorläufer der Arbeiten von D. Zeh. Wenn ich es recht verstanden habe, sind Everetts Arbeiten damit eher von historischem Interesse. Die aktuelle Modellbildung innerhalb der Physik kann/muss mit Dekohärenz bezeichnet werden. Da der von Neumannsche Vorschlag des Kollapses aber trotzdem immer noch in der Welt ist, haben wir immer noch zwei verschiedene Modelle. Das präzisere Modell ist, wie Tom bereits geschrieben hat, das Modell der Dekohärenz.
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Freundliche Grüße, B. |
#3
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AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
@Tom: Ich schlage vor, dass wir unsere Diskussion über die Interpretationen der QM hier fortsetzen.
Kannn man die VWI "auf den Nenner" bringen, dass es zu jedem System (inklusive Messapparatur) eine Wellenfunktion gibt, die das System realistisch im Sinne des Punktes 1 von hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Bellsc...Lokalit%C3%A4t beschreibt?
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Freundliche Grüße, B. |
#4
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AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen Zitat:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Viel...Interpretation Zitat:
Zitat:
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Der Verstand schafft die Wahrheit nicht, sondern er findet sie vor - Aurelius Augustinus |
#5
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AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
Als Versuch einer weiteren Antwort scheint es mir aktuell zielführender zu sein sich mit der begrifflichen und sprachlichen Strukturierung der QM zu beschäftigen: https://de.wikipedia.org/wiki/Interp...uantenmechanik . Dieses Vorhaben wird auch von A. Zeilinger unterstützt und eingefordert. In seiner Arbeit "A foundational principle for quantum mechanics", in Foundation of Physics, Band 29 (1999), S. 631–643 verweist er auf die Grundpostulate der Relativitätstheorie und das Fehlen von vergleichbaren Postulaten bei der QM.
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Freundliche Grüße, B. |
#6
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AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
Zitat:
https://www.physikerboard.de/topic,5...echanik-i.html Dabei gibt es zwei Klassen von Axiomen, nämlich den eigtl. Kern sowie diejenigen, die sich teilweise je nach Interpretation ändern können; Kollapspostulat und Bornsche Regel gehören nach Everett sicher nicht zu den fundamentalen Axiomen.de Broglie und Bohm führen m.W.n. ebenfalls weitere Axiome ein.
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago. |
#7
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AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
Zitat:
Zitat:
Nochmal: die Grundlage der Everettschen Interpretation ist die Idee, den Zustandsvektor und dessen Dynamik gem. der Schrödingergleichung konsistent ontisch auffassen zu können, d.h. in jeder Situation einschließlich der Messung. Dabei ist nicht von Möglichkeitsraum o.ä. die Rede. Wenn man die strikt ontische Auffassung aufgeben möchte, dann verwirft man besser die Everettschen Interpretation vollständig und bastelt nicht an ihr herum. Interessanterweise lese ich in vielen Darstellungen zu Interpretationen der QM nichts von CFG; er scheint da nicht wahrgenommen zu werden.
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago. Ge?ndert von TomS (31.07.18 um 09:53 Uhr) |
#8
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AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
Zitat:
Wie stelle ich die Zahlen, die dann rauskommen, den experimentellen Daten gegenüber?
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Gruß, Johann ------------------------------------------------------------ Eine korrekt gestellte Frage beinhaltet zu 2/3 die Antwort. ------------------------------------------------------------ E0 = mc² |
#9
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AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
Zitat:
Streng genommen muss man zwei Fragen klären: 1) Warum resultiert aus der Everettschen Interpretation überhaupt eine Wahrscheinlichkeit? Immerhin ist die Theorie explizit deterministisch. 2) Wenn (1) gelöst ist, warum resultiert gerade die Bornsche Regel? In gewisser Weise ist (2) einfacher bzw. bereits gelöst; man kann nämlich streng beweisen, dass auf einem Hilbertraum nur ein einziges Wahrscheinlichkeitsmaß zulässig ist, und dies enstpricht gerade der Bornschen Regel; dies ist das sogenannte Gleasonsche Theorem Zu (1) gibt es diverse Indizien, angefangen bei Everett selbst. Nach der Dekohärenz tragen die o.g. resultierenden Zweige gerade den gem. Born richtigen Gewichtsfaktor. Nach Hartle konvergiert eine häufige Anordnung eines speziellen "Zähloperators" für das Auftreten bestimmter Ergebnisse bei unabhängigen Messungen gerade gegen das Ergebnis der Bornschen Regel. All dies deutet darauf hin, dass die Bornschen Regel bereits in der Geometrie des Hilbertraumes und einiger Axiome angelegt ist. Es gibt jedoch keinen schlüssigen Beweis, warum diese so resultierenden Werte als Wahrscheinlichkeiten aufzufassen sind. Stell dir vor ich gebe dir Tabellen der Form A ½ B ½ A ¼ B ¾ ... Nun können wir beweisen, dass wenn wir die zweite Spalte als Wahrscheinlichkeiten P(A) = ½ auffassen wollen, dass dann P(B) = 1 - P(A) sowie 0 ≤ P ≤ 1 folgt. Nur, wir können nicht beweisen, dass wenn ich dir diese Tabellen gebe und sie diese Bedingen erfüllen, dass ich sie dann als Wahrscheinlichkeiten interpretieren muss. Das ist eines der wesentlichen Probleme der Everettschen Interpretation: warum folgt aus der Mathematik eine Wahrscheinlichkeitsaussage? Bisher sind alle Herleitungen recht verzwickt und werden immer wieder als zirkulär kritisiert, im Sinne von "wenn wir irgendetwas annehmen, was implizit bzw. versteckt irgendwas enthält, was irgendwie entfernt mit Wahrscheinlichkeiten zu tun hat, dann folgt irgendwie eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation sowie die Bornsche Regel".
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago. Ge?ndert von TomS (31.07.18 um 11:09 Uhr) |
#10
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AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
Hallo Tom,
Zitat:
Ich würde mir das schon mal ansehen, auch wenn aus deinem Beitrag bereits gewisse Alarmsignale zu entnehmen sind.
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Freundliche Grüße, B. |
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everett - welten, viele-welten theorie |
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