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Quantenmechanik, Relativitätstheorie und der ganze Rest. Wenn Sie Themen diskutieren wollen, die mehr als Schulkenntnisse voraussetzen, sind Sie hier richtig. Keine Angst, ein Physikstudium ist nicht Voraussetzung, aber man sollte sich schon eingehender mit Physik beschäftigt haben.

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  #31  
Alt 19.01.15, 10:37
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Standard AW: Quantensprung ohne Zeitverlust?

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Ja, aber kein Konzept ist wirklich ein rundum-Sorglospaket.

1) Man kann dem Quantenzustand absprechen, dass er direkt die Realität beschreibt. Stattdessen handelt es sich nur um eine spezielle und unvollständige Repräsentation von Information bzw. Wissen beim Beobachter. Der Kollaps ist dann grob gesprochen lediglich eine Zunahme an Wissen, wobei unsichere Information, die vorher über den Ausgang des Experimentes vorhanden war, verschwindet, insofern sie nicht zum tatsächlichen Ausgang passt. Das ist eine Spielart der Orthodoxie. Sie hat den Vorteil, dass nichts in der Realität kollabiert, sondern lediglich unzutreffende Information verschwindet; der Kollaps bezieht sich auf die (mentale) Repräsentation, nicht auf die Realität. Sie hat den Nachteil, dass sie den Realitätsanspruch vollständig aufgibt.

2) Man kann den Realitätsanspruch aufrecht erhalten und den Kollaps ablehnen (der im Kern des Formalismus der QM nicht existiert; er ist eine Zutat der Interpretation). Dieser Weg führt zu den vielen Welten, wobei der Kollaps durch eine Verzweigung ersetzt wird. Der Vorteil ist, dass die Interpretation schlanker und die Zusatzannahmen geringer werden, und dass der Realitätsanspruch beibehalten werden kann. Der Nachteil ist, dass die vielen Welten - solange sie unbeobachtbar bleiben - als ontologische Zumutung angesehen werden können.

3) Man kann versuchen, den Formalismus der QM dahingehend zu erweitern, dass die Mathematik selbst einen Kollaps produziert, d.h. dass man diesen nicht mehr künstlich postulieren muss. Ich kenne diese Ansätze recht wenig, aber ich habe nicht gehört, dass sich die QM tatsächlich erfolgreich und umfassend umformulieren lässt; das Problem ist ja, dass die QM und die QFT in tausenden von Experimenten nie in irgendeiner Form falsifiziert worden sind. Eine Änderung der Theorie muss also all diese Erfolge wieder für sich verbuchen können, d.h. exakt die selben Resultate liefern, und zugleich den Kollaps mathematisch beschreiben.

4) ...

Von (1 - 3) gibt es diverse Spielarten, außerdem gibt es noch weitere (4 ...) davon unabhängige Ideen bzw. Interpretationen. Keine davon ist heute allgemein akzeptiert, keine löst alle Probleme.
Diskutiert wird in letzter Zeit auch darüber, ob Zufall überhaupt existiert. Führt man die verwendeten Beschreibungen von Zufall auf Unkenntnis der dahinter steckenden, aber real existierenden Mechanismen zurück (z.B. Bohm oder Quanten-Bayanismus), gibt es keine Aufspaltung in viele Welten.

MfG
Lothar W.
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  #32  
Alt 19.01.15, 12:33
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Standard AW: Quantensprung ohne Zeitverlust?

Zitat:
Zitat von Struktron Beitrag anzeigen
Diskutiert wird in letzter Zeit auch darüber, ob Zufall überhaupt existiert.
Im Rahmen der Viele-Welten-Interpretation gibt es keinen Zufall. Die Zeitentwicklung ist unitär und streng deterministisch. Allerdings erscheint es aus Sicht eines Beobachters innerhalb eines "Zweiges" so, als ob es Zufall gäbe.

Zitat:
Zitat von Struktron Beitrag anzeigen
Führt man die verwendeten Beschreibungen von Zufall auf Unkenntnis der dahinter steckenden, aber real existierenden Mechanismen zurück (z.B. Bohm oder Quanten-Bayanismus), gibt es keine Aufspaltung in viele Welten.
Die deBroglie-Bohm-Idee ist aus meiner Sicht eine absolute Mogelpackung. Sie benötigt neben den Teilchen mit ihren Orten und Geschwindigkeiten immer noch ein Quantenfeld, das aber im Gegensatz zu jedem anderen Feld keine Energie, Eigenschaften o.ä. trägt; ontologisch ist das hässlich. Desweiteren sehe ich nicht, wie diese Theorie zu einer Quantenfeldtheorie erweitert werden kann.

Der Quanten-Bayesianismus verabschiedet sich von objektiver Wissenschaft und benutzt subjektivistische Denkmuster. Nach Wikipedia: Demnach bezieht sich die Wellenfunktion nicht auf ein Quantensystem, sondern sie repräsentiert die Einschätzung eines rationalen Agenten über das Ergebnis einer Messung an einem System. Der Kollaps der Wellenfunktion bei der Durchführung einer Messung beschreibt im Rahmen dieser Interpretation keinen realen physikalischen Prozess, sondern die Aktualisierung der Einschätzung des Agenten über den möglichen Ausgang einer weiteren Messung an dem System. OK, damit kann man leben, wenn einen nicht interessiert, was die Natur tut, sondern was man über sie weiß oder vermutet. Dann sehe ich nicht, was daran besser ist als an "shut up an calculate". Andere kritisieren, dass der Quanten-Bayesianismus ein Defizit an Erklärungsvermögen aufweise. Die Zielsetzung von Physik sei die Beschreibung und Erklärung der Eigenschaften physikalischer Systeme, nicht die Beschreibung der Einschätzungen von Agenten. Genau. Der Quanten-Bayesianismus ist "Kopenhangen 2.0", mehr nicht (na ja, stimmt so nicht, die Rolle der Wahrscheinlichkeit bzw. als Grad persönlicher Überzeugung wird wesentlich klarer herausgearbeitet; insofern kann man noch klarer sagen, warum man diese Interpretationen nicht mag ;-).

Nochmal: ich halte die vielen Welten nicht für schön. Aber sie sind das Ergebnis eines phantastisch präzisen und erfolgreichen Formalismus. Also sollte man versuchen, sie ernsthaft zu verstehen; oder meinetwegen auch die Gründe ihrer Nicht-Existenz zu verstehen. Leider besteht die überwiegende Mehrheit der anders gearteten Ansätze jedoch darin, die vielen Welten wegzureden, wegzuzaubern oder wegzupostulieren.
__________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.

Ge?ndert von TomS (19.01.15 um 12:46 Uhr)
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  #33  
Alt 19.01.15, 13:05
Hawkwind Hawkwind ist offline
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Standard AW: Quantensprung ohne Zeitverlust?

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Nochmal: ich halte die vielen Welten nicht für schön. Aber sie sind das Ergebnis eines phantastisch präzisen und erfolgreichen Formalismus. Also sollte man versuchen, sie ernsthaft zu verstehen; oder meinetwegen auch die Gründe ihrer Nicht-Existenz zu verstehen. Leider besteht die überwiegende Mehrheit der anders gearteten Ansätze jedoch darin, die vielen Welten wegzureden, wegzuzaubern oder wegzupostulieren.
Da verliert man aber auch leicht den Überblick; die verschiedenen Interpretationen verzweigen sich ja mittlerweile auch in Subtypen. Gell-Mann (u.a.) hat z.B. die VWT in die "Consistent Histories" weiter(?)entwickelt:
http://arxiv.org/pdf/gr-qc/9412067.pdf
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  #34  
Alt 19.01.15, 13:18
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Struktron Struktron ist offline
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Standard AW: Quantensprung ohne Zeitverlust?

Hallo Tom,
Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen

... Dann sehe ich nicht, was daran besser ist als an "shut up an calculate".
Mit allen, teilweise auch hier vorgestellten, Überlegungen wird meiner Meinung nach nur mit unterschiedlichen Worten beschrieben, dass wir nicht wissen und vielleicht nie wissen können, was das tatsächlich existierende Etwas ist, welches das Verhalten der so erfolgreichen QFT (mit der durch die Anwendung kanonischer Quantisierungsmöglichkeiten enthaltenen Quantenmechanik) verursacht.
Daraus folgt meine volle Zustimmung zu Deinem obigem Zitat.

Eine Frage zu Gründlers Buch auf S.45: Sind die Verfahren der Punktmechanik, deren Übertragung durch Diskretisierung auf die QFT gezeigt wird, auf alle Feldtheorien anwendbar? Wäre damit vielleicht eine Brücke zur ART zu schlagen?

MfG
Lothar W.
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  #35  
Alt 19.01.15, 13:55
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TomS TomS ist offline
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Standard AW: Quantensprung ohne Zeitverlust?

Zitat:
Zitat von Hawkwind Beitrag anzeigen
Die verschiedenen Interpretationen verzweigen sich ja mittlerweile auch in Subtypen. Gell-Mann (u.a.) hat z.B. die VWT in die "Consistent Histories" weiter(?)entwickelt:
http://arxiv.org/pdf/gr-qc/9412067.pdf
Die Consistent Histories gingen eher aus Kopenhagen hervor, nicht aus den Vielen-Welten.
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  #36  
Alt 20.01.15, 15:03
Hawkwind Hawkwind ist offline
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Standard AW: Quantensprung ohne Zeitverlust?

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Die Consistent Histories gingen eher aus Kopenhagen hervor, nicht aus den Vielen-Welten.
Das mag sein; es gibt aber durchaus Ähnlichkeiten zu "Viele Welten".

Zitat:
...
There are many attempts to provide an explanation of what we see based on the MWI or its variants in Lockwood 1989, Gell-Mann and Hartle 1990, Albert 1992, Saunders 1993, Penrose 1994, Chalmers 1996, Deutsch 1996, Joos et al. 2003, Schlosshauer 2007, Zurek 2009, and Wallace 2012. ...
aus
Many-Worlds Interpretation of Quantum Mechanics

Ich hatte auch vor längerer Zeit mal Gell-Manns Buch "Das Quark und der Jaguar" gelesen. Dort schreibt er

Zitat:
Zitat von Gell-Mann
Die wichtigste in den Nachrichtenmedien und in zahlreichen Büchern verbreitete Tatsachenverdrehung besteht in der impliziten oder gar expliziten Behauptung, die Messung der zirkulären beziehungsweise linearen Polarisation eines der beiden Photonen beeinflusse das andere Photon.

In Wirklichkeit wird durch die Messung keinerlei physikalischer Effekt von einem Photon auf das andere übertragen. Was geschieht dann? Wenn an einem bestimmten Geschichtszweig die lineare Polarisation eines Photons gemessen und somit genau angegeben wird, dann ist auf demselben Geschichtszweig auch die lineare Polarisation des anderen Photons genau bestimmt. Wird auf einem anderen Geschichtszweig die zirkuläre Polarisation eines der beiden Photonen gemessen, dann ist damit die zirkuläre Polarisation beider Photonen genau bestimmt.

Der Zustand an jedem Zweig lässt sich mit den "Bertlmannschen Socken" vergleichen, die John Bell in einer seiner Abhandlungen beschreibt. Bertimann ist ein Mathematiker, der stets eine rosa und eine grüne Socke trägt. Wer nur einen seiner Füße sieht und eine grüne Socke erblickt, weiß sofort, daß an seinem anderen Fuß eine rosa Socke prangt. Und das, obwohl keine Signalübertragung zwischen den Füßen stattfindet. Ebenso wenig findet in dem Experiment, das die Quantenmechanik bestätigt, eine Signalübertragung (und damit eine Fernwirkung) zwischen den beiden Photonen statt.
"Geschichtszweig" erinnert mich hier schon sehr an Verzweigung in Welten, oder?

Z.B. auch folgende Papers weisen auf Ähnlichkeiten hin:
Many worlds in one
Worlds in the Everett interpretation
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  #37  
Alt 20.01.15, 18:55
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TomS TomS ist offline
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Standard AW: Quantensprung ohne Zeitverlust?

OK, danke für die Hinweise, ich werde mir mal mehr zu dem Thema durchlesen.
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  #38  
Alt 21.01.15, 13:38
Timm Timm ist offline
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Standard AW: Quantensprung ohne Zeitverlust?

Zitat:
Zitat von Hawkwind Beitrag anzeigen
"Geschichtszweig" erinnert mich hier schon sehr an Verzweigung in Welten, oder?
Ist es nicht so, daß ein und dieselbe Messanordnung das Potential aller Möglichkeiten eines Quantenobjekts verteilt auf die vielen Welten ausschöpft?
Die beiden in Gell Mann's Zitat erwähnten Geschichtszweige scheinen sich auf 2 Messanordnungen (Messung der linearen und der zirkularen Polarisation) zu beziehen. Insofern sehe ich eher keinen viele Welten Ansatz.
__________________
Der Verstand schafft die Wahrheit nicht, sondern er findet sie vor - Aurelius Augustinus
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  #39  
Alt 21.01.15, 17:02
Hawkwind Hawkwind ist offline
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Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Ist es nicht so, daß ein und dieselbe Messanordnung das Potential aller Möglichkeiten eines Quantenobjekts verteilt auf die vielen Welten ausschöpft?
Die beiden in Gell Mann's Zitat erwähnten Geschichtszweige scheinen sich auf 2 Messanordnungen (Messung der linearen und der zirkularen Polarisation) zu beziehen. Insofern sehe ich eher keinen viele Welten Ansatz.
Aber es geht hier schon um den Kollaps, für den er wegen "unterschiedlicher Geschichtszweige" keine Notwendigkeit sieht.
Wenn man unterschiedliche Experimente macht (unterschiedliche Größen misst), dann braucht man ja nun keine "Geschichtszweige" einzuführen. Wozu?

Aber er hat sich da in der Tat schon etwas missverständlich ausgedrückt.

Gruß,
Uli
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