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Wissenschaftstheorie und Interpretationen der Physik Runder Tisch für Physiker, Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretiker

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  #1  
Alt 02.04.12, 16:35
RoKo RoKo ist offline
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Registriert seit: 12.11.2009
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Standard Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

Anlass dieses Themas ist eine Debatte, die ich an anderer Stelle entwickelt hat.
Zitat:
Zitat von kingcrimson04 Beitrag anzeigen
..

So schreibt z.B. R. Lippuner:

Zitat:
"Kennzeichnend für die ökologische Situation der Gesellschaft ist aus system-theoretischer Sicht demzufolge die existenzielle Abhängigkeit des Kommunika-tionssystems Gesellschaft von einer operativ unzugänglichen Umwelt. Auch wenn die Umwelt unter ständiger Beobachtung steht und in der Gesellschaft fortwäh-rend Thema ist, kann die Gesellschaft doch in keinem Moment mit der Umwelt kommunizieren. Weder können kommunikative Selektionen in die Selbstdeter-mination psychischer Systeme eingreifen, noch kann man über die materielle Umwelt etwas anderes erfahren als das, was in der sozialen Kommunikation mit-hilfe der dort verfügbaren Verfahren generiert wird und deshalb stets eine beob-achterabhängige Beschreibung ist, die unter anderen Umständen auch anders aus-fallen könnte. Mit der Zunahme des Wissens über die Umwelt vermehren sich typischerweise auf beiden Seiten die Zurechnungspunkte für Kausalitäten..."
((aus: Roland Lippuner: strukturelle Koppelung: Oekologie sozialer Systeme,2010;Jena) (wenn Interesse besteht, kann ich das Dokument als pdf posten)

Damit steht die Naturwissenschaft vor der Aufgabe wie sie ihr Verhältnis zur "Natur" beschreibt. Natur als Entität ist unter dieser Sichtweise nicht gegeben.
__________________
mit freundlichem Gruß aus Hannover

Unendliche Genauigkeit ist eine Illusion
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  #2  
Alt 02.04.12, 17:47
RoKo RoKo ist offline
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Standard AW: Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

Die auf Luhmann zurückgehende soziologische Systemtheorie ist eine spezielle Sichtweise, die nicht unumstritten ist. (M)ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass Menschen als denkende und handelnde Subjekte nicht mehr vorkommen, obwohl sie in allen sozialen Systemen Entitäten sind. Ferner wird ausgeblendet, dass Menschen in der Gesellschaft nicht nur kommunizieren, sondern zum Zwecke des Selbsterhalts ökonomisch handeln.

Auf Grund dieser Mängel - so meine Schlussfolgerung - ist diese Art soziologischer Systemtheorie ungeeignet, praxisrelevante Diagnosen über gesellschaftliche Probleme herauszuarbeiten. Folglich halte ich diese Sichtweise auch nicht für kompetent, über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur zu befinden.

Mit dieser Kritik ist die Frage nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur noch nicht beantwortet. Sie erfordert allerdings einen anderen Ansatz.
__________________
mit freundlichem Gruß aus Hannover

Unendliche Genauigkeit ist eine Illusion
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  #3  
Alt 02.04.12, 18:20
RoKo RoKo ist offline
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Standard AW: Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

1. Ich unterscheide ("draw a distinction"): Ich - mein Körper - meine Umwelt, bestehend aus Natur, Mitmenschen und Technik.
2. Um die (lebenserhaltenden) Bedürfnisse meines Körpers zu befriedigen, muss ich unter zu Hilfenahme meiner Mitmenschen und Technik auf die Natur praktisch einwirken.
3. Um erfolgreich praktisch auf die Natur einwirken zu können, muß ich sie theoretisch erkennen. Dies erfolgt sinnvollerweise ebenfalls unter zu Hilfenahme meiner Mitmenschen (incl. aller Vorfahren) und Technik.
4. Das Wahrheitskriterium jeglicher Theorie ist die Praxis.

Auf der Basis dieser 4 Axiome ist Naturwissenschaft die Quintessenz aller intersubjektiv gewonnenen Erkenntnisse und Theorien über die Natur, deren Wahrheitsgehalt praktisch überprüft und unwiderlegt sind.
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mit freundlichem Gruß aus Hannover

Unendliche Genauigkeit ist eine Illusion
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  #4  
Alt 02.04.12, 22:10
fossilium fossilium ist offline
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Standard AW: Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

Hi Roko,

Zitat:
Zitat von RoKo Beitrag anzeigen
Auf der Basis dieser 4 Axiome ist Naturwissenschaft die Quintessenz aller intersubjektiv gewonnenen Erkenntnisse und Theorien über die Natur, deren Wahrheitsgehalt praktisch überprüft und unwiderlegt sind.
Was verstehst Du unter "intersubjektiv" ?

Hier noch: Ein Wahrheitsgehalt kann nicht praktisch überprüft werden, da Wahrheit nun mal Wahrheit ist, und per Definitionem keiner Prüfung bedarf. Aber Du meinst wahrscheinlich "Aussagen" ?

Welche Dinge im Verhältnis von Natur und Naturwissenschaft können nach Deiner Ansicht für einen Physiker von Bedeutung sein ?

Grüsse Fossilijum
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  #5  
Alt 03.04.12, 04:46
RoKo RoKo ist offline
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Registriert seit: 12.11.2009
Beitr?ge: 996
Standard AW: Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

Hallo fossilium,

Zitat:
Zitat von fossilium Beitrag anzeigen
Was verstehst Du unter "intersubjektiv" ?
intersubjektiv = über den Subjekten stehend

Gemeint ist, dass die von der Menschheit gewonnenen Erkenntnisse nicht subjektiv sind. Sie sind jedoch damit nicht notwendigerweise objektiv, weil sie immer auch Bezug zur menschlichen Wahrnehmung (sehen, hören, fühlen)haben. Andere Intelligenzien könnten andere Sensoren haben.

Zitat:

Hier noch: Ein Wahrheitsgehalt kann nicht praktisch überprüft werden, da Wahrheit nun mal Wahrheit ist, und per Definitionem keiner Prüfung bedarf. Aber Du meinst wahrscheinlich "Aussagen" ?
Mag sein, dass der Begriff "Wahrheitsgehalt" nicht gut gewählt ist. Gemeint ist, dass Theorien, die praktisch genutzt werden können (Beispiel: Newtons Mechanik) nicht völlig falsch sind.
Zitat:
Welche Dinge im Verhältnis von Natur und Naturwissenschaft können nach Deiner Ansicht für einen Physiker von Bedeutung sein ?
Unsere Theorien sind immer gedankliche Konstrukte; die Natur ist objektiv und unabhängig von unserem Denken.
__________________
mit freundlichem Gruß aus Hannover

Unendliche Genauigkeit ist eine Illusion
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  #6  
Alt 03.04.12, 08:25
kingcrimson04 kingcrimson04 ist offline
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Standard AW: Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

[QUOTE=RoKo;67608]Hallo fossilium,

intersubjektiv = über den Subjekten stehend

Hallo Zusammen (RoKO und Fossilium)

intersubjektiv = zwischen den Subjekten stehend!

Liebe Grüsse
kc
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  #7  
Alt 03.04.12, 10:06
Petruska Petruska ist offline
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Standard AW: Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

Guten Morgen, alle zusammen,

"Intersubjektivität" geht, soweit ich im Bilde bin, auf E. Husserl zurück. Es handelt ssich hier um system-theoretische Gedankengänge, die der Autor ungefähr ein halbes Jahrhundert vor dem Aufkommen der "offiziellen" System-Theorie formuliert hat.
die Idee ist folgende. Jeder von uns sieht - im weiteren Sinne - die Welt subjektiv, und zwar nicht nur die "an sich" objektive Welt, sondern eben auch die Subjektivität unserer Mitmenschen, so wie sie sich ausdrückt. Etwas vereinfacht, schwingen die Subjektivitäten unserer Mitmenschezn in unserer eigenen Subjektivität mit, und umgekehrt, und zwar so, dass jede Einzelsubjektivität natürlich nicht auf die "Summe" ihrer Mitsubjektivitäten zurückgeführt/reduziert werden kann.

ABER, und damit sind wir wieder beim heikelen Thema, das bei der Diskussions-Runde MESS & EMERGENZPROBLEME angeschnitten worden ist:
Oben stehende Gedankengänge sind philosophisch gesehen höchst interessant und tragen der Realität Rechnung. Es WÄRE für die Physik ausgesprochen konstruktiv, wenn sie IN IHRER SPRACHE ähnliche Gedankengänge führen könnte. Aber ist das - nach dem heutigen Stand der Erkenntnis - möglich?
In der Physik arbeitet man nun mal mit hoch entwickelten mathematischen Formalismen, ohne die dieses Diskussions-Forum mangels zuvor erfundener Computer nicht existieren würde. Und ich glaube nicht, das die oben skizzierte Philosophie Husserls in einer mit der Physik gemeinsamen Sprache formalisiert werden kann.

N.B. Ich bastle gerade an einem neuen Thema in diesem Sinne, und zwar mit KONSTRUKTIVEN Absichten. Tagtäglich mit Irreversibität konfrontiert, wäre ich der Letzte, der nicht echte Fortschritte in Sachen "Öffnung der Physik gegenüber der Systemtheorie" wünschte.

Viele Grüsse aus Paris
Frohes Schaffen

Petruska

Ge?ndert von Petruska (03.04.12 um 10:09 Uhr)
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  #8  
Alt 03.04.12, 11:02
kingcrimson04 kingcrimson04 ist offline
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Registriert seit: 28.03.2012
Beitr?ge: 25
Standard AW: Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

Hallo RoKo,

ok neuer Themenbereich.

Wie du geschrieben hast "(M)ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass Menschen als denkende und handelnde Subjekte nicht mehr vorkommen, obwohl sie in allen sozialen Systemen Entitäten sind"
In der Theorie sozialer Systeme (Luhmann et al) wird der Mensch (psychisches System) als Umwelt des Sozialsystems gesehen. Die Operation sozialer Systeme ist Kommunikation. Psychische, soziale und materielle "Welt"" sind jeweils füreinander Umwelt.
Natürlich kommen Mernschen vor aber: wie erschließt sich für mich der Mitmensch? Der Volksmund sagt treffenderweise: "Ich kann dir nur vor die Stirn sehen.."
Auch dass zum Zwecke des Selbsterhalts ökonomisches Handeln erfolgt wird nicht bestritten.

Aber wie differenziert sich ein ökonomisches Sytem sagen wir z.b. von einem politischen System oder dem System der Wissenschaft? Spätestens mit der Einführung der Geldwirtchaft entstehen neue Kommunikationsmöglichkeiten. Preise, Zahlungen etc,die in der klassischen Subsistenzwirtschaft gar nicht nötig waren.

Auch hier in Tanzania gibt es noch viele Kleinbauern, die vollkommen autark (will heißen: für sich selbst) wirtschaften. Preise; Zahlungen? Kennen die nicht.

Aber zurück zum Thema. wie du mit deinen Axiomen (s.u.,) richtig beschreibst, gilt es ein bestimmtes Verständnis von Empirie und Theorie als Bestandteilen einer wissenschaftlichen Praxis zu skizzieren.

Dieses Verständnis kreist m.E. um drei Schwerpunkte: die Erfahrung von Wirklichkeit, den Status der Theorie (hier der Systemthorie) und das Verständnis von Wissenshaft als Wirkgröße (Intervention), das heißt um Empirie, Theorie und Praxis.

Eine systemtheoretische Reflektion dieser Schwerpunkte soll als "konstruktivistisch" bezeichnet werden. Steht daher im Gegensatz zu "objektivistischen" Erkenntnistheorien, die eine objektive Welt vorab postulieren.

Mit anderen Worten: Die Systemtheorie hat keinen eigenen Gegenstand, sondern stellt ein Begriffsinstrumentaium zur Verfügung, das in der Lage ist theoretische Zugänge zu Gegenständen jeglicher Art neu zu ordnen.....
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  #9  
Alt 03.04.12, 17:06
fossilium fossilium ist offline
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Standard AW: Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

Hi Roko !

Zitat:
Zitat von RoKo Beitrag anzeigen

intersubjektiv = über den Subjekten stehend - Gemeint ist, dass die von der Menschheit gewonnenen Erkenntnisse nicht subjektiv sind. Sie sind jedoch damit nicht notwendigerweise objektiv, ...

Unsere Theorien sind immer gedankliche Konstrukte; die Natur ist objektiv und unabhängig von unserem Denken.
Wenn Deine Erkenntnissen nicht notwendigerweise objektiv sind, wie kannst Du dann behaupten, dass es eine Natur gibt, die objektiv und unabhängig von Deinem Denken ist ?

Die ist dann doch auch nur Deine persönliche subjektive Wahrnehmung.

Oder einfacher gefragt: was kannst Du über Objektives etwas aussagen, wenn Deine Aussagen subjektiv geprägt sind.

Grüsse Fossilium
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  #10  
Alt 03.04.12, 18:21
RoKo RoKo ist offline
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Standard AW: Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Natur.

Hallo fossilium,

Zitat:
Zitat von fossilium Beitrag anzeigen
Wenn Deine Erkenntnissen nicht notwendigerweise objektiv sind, wie kannst Du dann behaupten, dass es eine Natur gibt, die objektiv und unabhängig von Deinem Denken ist ?
Weil ich mich nicht satt denken kann! (Axiom 2) Wäre die Natur abhängig von meinem Denken, dann müsste ich den Aufwand (arbeiten, Geld verdienen, einkaufen, Essen zubereiten, essen) nicht treiben.
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mit freundlichem Gruß aus Hannover

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