Ein Kommentar von Dr. Hendrik van Hees, GSI-Darmstadt:
->Antwort von Günter Sturm, Quanten.de Redaktion
->Rückantwort von Hendrik van Hees, GSI Darmstadt
Sehr geehrte Damen und Herren!
Sie leiten Ihren Artikel mit den Worten
In der Quantenwelt gelten andere Gesetze als in der Welt, die wir
"direkt" wahrnehmen. Eine der - für unser "Alltagsempfinden" -
ungewöhnlichsten Eigenschaften ist die Heisenbergsche
Unschärferelation:
delta p delta x >= 1/(4 Pi) h
ein. Das liest man oft. Deshalb wird es aber nicht richtiger! Unsere Welt,
die wir direkt wahrnehmen, ist ja die Quantenwelt. Nach allem, was wir
wissen, d.h. allen Experimenten zufolge, von denen Sie ja ein sehr
interessantes referieren, wird die uns umgebende Welt durch die
Quantentheorie vollständig und ausnahmslos beschrieben.
Das als klassische Physik bekannte Weltbild ist als inkonsistent erkannt.
Die uns umgebende Welt besteht aus makroskopischen Systemen, d.h. aus
Systemen, die sich aus einer sehr großen Zahl von Subsystemen
zusammensetzen. Die klassische Physik ergibt sich aus der Quantentheorie
durch den Mechanismus der Dekohärenz. Die Quantentheorie ist somit die
umfassendste Theorie über die Realität, die wir heute besitzen.
Die Inkonsistenz des klassischen Weltbildes zeigt sich aber gerade im
Alltag! So gäbe es ohne die Quantentheorie, insbesondere ohne die Existenz
von Fermionen, keine stabile Materie.
Meiner Meinung nach sollte ein Artikel über die Quantentheorie also nicht
mehr mit einer Betonung der Unterschiede zwischen klassischem und
quantentheoretischem Weltbild beginnen, sondern vielmehr mit der
Feststellung, daß die uns umgebende Welt nur durch die Quantentheorie
verständlich wird.
Weiter findet sich auch der folgende Abschnitt in Ihrem Artikel:
Eine weitere wichtige Eigenschaft von Quantenteilchen ist der
Welle-Teilchen Dualismus. Nach der de Broglie-Gleichung
lambda = h / p ist die Wellenlänge lambda mit dem Impuls p
eines Teilchens verknüpft. Aufgrund dieser Eigenschaft kann man
Teilchen wie z. B. Elektronen an einem Gitter "beugen". Sie
verhalten sich also genauso wie Wellen, die auf einen Spalt mit
einer festen Breite b treffen. Je genauer der Ort eines Teilchens
bekannt ist (je schmaler der Spalt b ist), desto weniger weiß man
nach der Unschärferelation über seinen Impuls (desto stärker sind
die Schwankungen in den gemessenen Wellenlängen).
Der Welle-Teilchendualismus und, noch allgemeiner, Bohrs Begriff der
Komplementarität muß aber als eine historisch wichtige, jedoch eher
irreführende Interpretation der Quantentheorie angesehen werden. Es ist
didaktisch wesentlich geschickter, die Gesetze der Quantentheorie aus dem
Atomismus der Materie zu motivieren. Dies ist meisterhaft in dem gerade
neu herausgegebenen Lehrbuch von Julian Schwinger
(Anm. d. Red.: Mehr Infos zu diesem Buch bei Amazon.de) ausgeführt.
Die klassische Physik beruht auf einer Idealisierung, die besagt, daß
jegliche Observable an einem Objekt mit Meßvorgängen erfaßbar ist, ohne
das System merklich zu beeinflussen, d.h. die durch die Messung auf das
System ausgeübte Wechselwirkung kann stets vernachlässigbar klein gemacht
werden.
Allerdings ist genau dies in einer atomistischen Welt nicht möglich, denn
um etwa ein Elementarteilchen zu beobachten, benötigt man zumindest wieder
ein Elementarteilchen. Eine genauere Analyse des Meßprozesses zeigt, daß
sogar ein makroskopischer Meßapparat benötigt wird, damit eine Fixierung
des Meßresultats (faktische Irreversibilität der Messung!) überhaupt
möglich wird.
MaW. im Gegensatz zu älteren Darstellungen der Quantentheorie, der leider
die meisten Lehrbücher immer noch folgen, beinhaltet der
quantentheoretische Formalismus seine Interpretation selbst. Es ist
nicht mehr notwendig, eine klassische Welt zur Erklärung der
Quantentheorie einzuführen. Dies ist insofern wichtig als eine
Grenzziehung zwischen "klassischer" und "Quantenwelt" gar nicht möglich
ist. So gibt es makroskopische Quantensysteme und Mikrosysteme, die sich
bereits bei kleinen Wechselwirkungen mit einem Makrosystem klassisch
verhalten. Somit ist der Abschnitt:
Die Frage nach der Grenze zwischen Quantenwelt und "unserer" Welt ist
nicht endgültig geklärt. Kann die Heisenbergsche Unschärferelation
auch im Großen, also in der maskroskopischen Welt, nachgewiesen
werden?
etwas zu pessimistisch. Es kann die Grenze zwischen "Quantenwelt" und
"unserer Welt" nicht geben, weil "unsere Welt" ja die "Quantenwelt" ist.
Die letzten 5-10 Jahre haben gerade in der Interpretation der
Quantentheorie große Fortschritte gebracht, denen die Lehrbuchliteratur
naturgemäß noch nicht genügend Rechnung trägt. Dies wurde nicht zuletzt
auch durch bahnbrechende experimentelle Techniken ermöglicht. Exemplarisch
sei nur das Rastertunnelmikroskop und die Fallentechnik (magneto-optische
Fallen), die beide bereits mit dem Nobelpreis geehrt wurden, genannt. Mit
diesen lassen sich die Gedankenexperimente der alten Zeit real
durchführen: Dabei hat sich die Quantentheorie in allen Fällen als korrekt
erwiesen, und zwar mit einer Signifikanz von 100 Standardabweichungen (in
Zeilingers Teleportationsexperiment).
Die Experimente von Haroche et al mit Rydbergatomen in Hohlraumresonatoren
hat ganz klar die Existenz der Dekohärenz erwiesen. Die Dekohärenz ist der
Schlüssel zum Verständnis der "Emergenz einer klassischen Welt" und trägt
auch wesentlich zur Klärung des Meßproblems bei. Die vormals meist
gelehrte "Kopenhagener Interpretation" erweist sich als für die meisten
praktischen Anwendungen der QT im Labor als vollkommen ausreichend, aber
nicht als vollständige Deutung der QT. Vielmehr läßt sie sich aus einigen
wenigen grundlegenden Prinzipien herleiten.
Als Einführung in diese modernere Interpretation der QT sei auf das
hervorragende einführende Lehrbuch
R. Omnes, Understanding Quantum Mechanics, Princeton University Press
(Anm. d. Red.: Mehr Infos zu diesem Buch bei Amazon.de)
verwiesen.
Viele Grüße,
Hendrik van Hees
Antwort von Günter Sturm, Quanten.de Redaktion:
Sie haben natürlich recht, dass in diesem Artikel vieles
ungenau und auch falsch dargestellt ist. Mein Ziel
war es, einen möglichst einfachen und fast ohne weitere
Vorkenntnisse begreifbaren Artikel zu schreiben. Darum freut
es mich auch besonders, dass wir nun auf Quanten.de
zugleich Ihren Kommentar dazu haben.
Mir stellt sich die Frage, ob es möglich ist, die QT auf
einführendem Niveau und trotzdem exakt und an neue
Entwicklungen angepasst zu beschreiben??
Im Chemiestudium wird bisher ausschließlich die
Kopenhagener Deutung gelehrt. Und wie Sie richtig
bemerkten, genügt die im Labor (meine Diss stammt aus
der Experimentalphysik). Daher bin ich mit den aktuellen
Entwicklungen der QT - was insbesondere die moderne
Interpretation betrifft - nicht vertraut. Ich werde mir die
von Ihnen empfohlenen Bücher demnächst mal genauer
anschauen.
Es bleibt aber das Problem (und wir haben das aus vielen
an Quanten.de gerichteten E-Mails erfahren), dass
Leute ohne naturwissenschaftliches Studium mit der QT
nichts oder fast nichts anfangen können, dabei aber
sehr interessiert sind und gerne "verstehen" würden!
Kennen Sie einführende - besser noch populärwissenschaftliche -
Bücher, die also vom Niveau her (insbesondere auch
mathematisch) deutlich unter den von Ihnen empfohlenen
angeordnet sind und trotzdem "richtig und aktuell" sind?
Um allgemeinverständlich zu sein, müssten diese Bücher wohl
auch deutsch sein! Ich denke, hier gäbe es eine echte Lücke
zu füllen.
Günter Sturm
Rückantwort von Hendrik van Hees, GSI Darmstadt:
> Im Chemiestudium wird bisher ausschließlich die
> Kopenhagener Deutung gelehrt. Und wie Sie richtig
> bemerkten, genügt die im Labor (meine Diss stammt aus
> der Experimentalphysik). Daher bin ich mit den aktuellen
> Entwicklungen der QT - was insbesondere die moderne
> Interpretation betrifft - nicht vertraut. Ich werde mir die
> von Ihnen empfohlenen Bücher demnächst mal genauer
> anschauen.
Das ist nicht nur im Chemiestudium so, sondern auch im Physikstudium.
Gerade deshalb ist es wichtig, die neueren Forschungsergebnisse für ein
breiteres Publikum, insbesondere auch Studenten, verfügbar zu machen.
> Es bleibt aber das Problem (und wir haben das aus vielen
> an Quanten.de gerichteten E-Mails erfahren), dass
> Leute ohne naturwissenschaftliches Studium mit der QT
> nichts oder fast nichts anfangen können, dabei aber
> sehr interessiert sind und gerne "verstehen" würden!
Das ist klar, und es ist sehr verdienstvoll, wenn man sich bemüht die QT
allgemeinverständlich darzustellen. Bis ich von Julian Schwingers Zugang
(der allerdings schon aus den 60er Jahren stammt) durch das Buch
J. Schwinger, Quantum Mechanics, Symbolism of Atomic Measurements,
Springer, Berlin, Heidelberg, New York (2001)
(Anm. d. Red.: Mehr Infos zu diesem Buch bei Amazon.de).
erfahren hatte, wußte ich auch nicht, wie man die Physik ab initio aus der
Quantentheorie begründen kann. Dies ist auch eigentlich nur ein
didaktisches Problem, denn die Physik ist ihrem Wesen nach, wie jede
Experimentalwissenschaft, induktiv und nicht deduktiv. Meist wird die
Quantentheorie daher im historischen Kontext gelehrt, und "kanonische
Quantisierung" mit Kopenhagener Interpretation ist dann der Abschluß.
Denkt man aber über die Kopenhagener Interpretation nach, bemerkt man
schnell, daß dort das Meßproblem nur unvollkommen verstanden ist.
Insbesondere ist es nicht klar, wo der "Schnitt" zwischen klassischem und
quantentheoretischem Verhalten zu ziehen ist.
Auch die moderne Interpretation, wo der "Kollaps der Wellenfunktion" als
dynamischer Vorgang aus der Quantentheorie allein hergeleitet wird, meiner
Meinung nach die bisher konsistenteste Interpretation, ist nicht
unumstritten. Sie erklärt z.B. nicht, wie es nach einer vollständigen
Messung zu dem entsprechenden reinen Zustand kommt, sondern nur, wie "for
all practical purposes" ein Gemisch resultiert, das in einer sehr guten
Näherung die gleichen statistischen Aussagen macht, wie sie sich durch den
reinen Zustand ergeben, der nach der Kopenhagener Interpretation
herauskommt.
Das bedeutet aber, daß die Kopenhagener Deutung Gültigkeit besitzt, aber
nicht als ein Grundpostulat (man muß eine klassische Welt zusätzlich
postulieren), sondern als hergeleitete Erkenntnis (die klassische Welt,
also das Fehlen quantentheoretischer Interferenzen), und dies komplettiert
die Kopenhagener Deutung: Insbesondere gibt es keinen spontanen Kollaps
der Wellenfunktion mehr, und im relativistischen Kontext entstehen keine
Probleme mit der Kausalität des Meßvorgangs mehr.
Eine mögliche Formalisierung dieser Ideen stellt die "consistent history
interpretation" dar, wie sie in Roland Omnes Buch vorgestellt wird.
> Kennen Sie einführende - besser noch populärwissenschaftliche -
> Bücher, die also vom Niveau her (insbesondere auch
> mathematisch) deutlich unter den von Ihnen empfohlenen
> angeordnet sind und trotzdem "richtig und aktuell" sind?
> Um allgemeinverständlich zu sein, müssten diese Bücher wohl
> auch deutsch sein! Ich denke, hier gäbe es eine echte Lücke
> zu füllen.
Es gibt meines Wissens nach kein populärwissenschaftliches Buch, daß diese
Zusammenhänge vollständig darstellt. Es wäre also höchst lobenswert, wenn
auf Ihren Seiten im Web so etwas entsteht.
Hendrik van Hees
Anmerkung der Quanten.de-Redaktion: Wir haben uns dieses sehr ehrgeizige Ziel gesetzt.
Erste Resultate finden Sie in unserem September-Newsletter. Für eine weiterführende Erklärung werden wir jedoch mehr
Zeit benötigen. Schauen Sie doch immer wieder mal bei uns vorbei!
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